Zum Frühstück im leeren Wintergarten gab es also den wiedergefundenen Mitschnitt jenes Konzerts, das Miles Davis am 26. Juli 1963 auf dem festival de jazz d’Antibes Juan-les-Pins gegeben hatte. Insgesamt hatte Hans Köberlin also die Mitschnitte von drei Tagen des Festivals, die vom 26., 27. und vom 28. Juli 1963, und er beschloß, morgen auch den Mitschnitt vom 27. Juli 1963, den er zusammen mit der Frau am Montag, dem 30. Dezember 2013, gehört, nochmals zu hören.
Das Konzert begann mit der Vorstellung der Musiker durch André Francis – Hans Köberlin wußte nicht, wer das gewesen war, der Name tauchte auf der Titelliste auf –, der in seinem Idiom die Namen lustig aussprach, besonders natürlich den von »’erbie ’ancock« –, George Coleman war noch am Saxophon, Wayne Shorter sollte ihn erst später in dem Jahr ersetzen. Es ging gleich nach der Ansage mit einem sehr schnellen So What los, Hans Köberlin, etwas träge vom Dauerlauf und den Aktionen davor, war heute willig, sich, wo nötig, auf die Geschwindigkeit einzulassen. Es folgte der All Blues, auch zu schnell, aber es blieb noch im Rahmen des Stückes, es gab ein langes Saxophonsolo, das Hans Köberlin gefiel, wie auch anschließend Herbie Hancock am Klavier. Weiter ging es, endlich langsam, mit Stella by Starlight, Miles Davis spielte sehr schön zum Auftakt, es folgte ein kommoder Tempowechsel für das Saxophon, dann kam Seven Steps to Heaven, bei dem es wieder auf die Rennbahn ging, wobei Hans Köberlins guter Wille nachließ und seine Gedanken etwas abschweiften, und schließlich, noch schneller, Walkin’, was Hans Köberlins Aufmerksamkeit gleichfalls nicht in angemessenem Maße fesseln konnte. Das schaffte dann wieder, obwohl etwas unüblich interpretatiert, wie zu erwarten My Funny Valentine. Als letztes Stück vor dem Thema kam, in der Manier von Walkin’, Joshua, Hans Köberlin konnte sich vorstellen, wie er diese Musik nach einem schönen Tag in einer fremden Stadt mit der Frau abends im Hotel –
»Wohnen im Hotel. – Vorstellung, das Leben sei ein Roman.«
– im Hotel also mit der Frau und dem Rotwein danach im Bett liegend leise aus dem kleinen blauen Lautsprecher als elaborierte Hintergrundmusik goutieren würde, aber das bewußte Hören hier bei seinem Frühstück allein ohne Ablenkung der Aufmerksamkeit – bei einem Gewohnheitsmenschen wie ihm beanspruchte das Frühstück keine – fiel ihm einmal wieder schwer, vielleicht war er überhaupt seines Rituals müde … Das das Set abschließende Thema ging über drei Minuten, zum Schluß kam nochmals André Francis mit seinem Akzent, der jetzt nicht mehr lustig war, weil er keine angelsächsischen Namen aufzulisten hatte, sondern über das Konzert und das Festival und seinen Ort sprach. Morgen dann, wie gesagt, die erste und wohl wohl einzige Wiederholung innerhalb des Rituals …
(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XIII [Sechste Phase ‒ oder: Gift und Geschlechtsverzweiflung] Vom 13. März bis zum 10. April 2014, S. 1704f.).

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