Montag, 27. Juli 2015

Samstag, 18. Juli 2015

Kinderfragen


»Du Papa, was ist eine ›herrschende Klasse‹?«

Freitag, 17. Juli 2015

Sirtaki

1964 ging ein okzidentaler Möchtegern-Unternehmer nach Griechenland, um eine Geschäftsidee umzusetzen. Er mußte von dem Griechen Zorba lernen, daß die Welt nicht immer so funktioniert, wie man sich das gedacht hat. Und die Botschaft 1964 war: vergiß deinen Ärger und deine ökonomischen Verluste und tanze. Das wurde der Welt damals als vorbildliche Haltung vorgeführt.
Ein halbes Jahrhundert später sieht die Welt anders aus: es hat sich ausgetanzt, man holt sich im Okzident seine wohlfeilen Vorbilder für das Feierabend- und Wochenendgutsein und -wohlfühlen aus dem ferneren Osten.
Es sei  der Phantasie anheimgestellt, wie ein Remake von Zorba the Greek (wenn man es denn überhaupt noch drehte und nicht etwas äquivalentes ferneröstliches daraus machte) aussehen würde … so verlogen, wie die Kulturindustrie ist, würde man auch heute den Antikapitalisten tanzen lassen.

Donnerstag, 16. Juli 2015

Mænd & høns


Das war ein sehr, sehr intelligent gemachter Film (man glaube der Kritik des Tagesspiegel nicht: der Kritiker hat – zumindest bei diesem Film – nicht verstanden, um was es geht), ich sah eine subtile Groteske, und ich wunderte mich nicht, als ich las, daß der Regisseur Anders Thomas Jensen auch das Drehbuch zu Hævnen (Susanne Bier, 2010; vgl. Telos, Berlin 2013, S. 81ff.) geschrieben hatte. Die Frauen sind es, die die Zivilisation in die Welt gebracht haben, das war mein erster Gedanke angesichts dieser Brüderbande und angesichts der Auflösung (vgl. ebd., S. 103 und dort die Fußnote 349), und meine ersten Assoziationen nach dem Film bezüglich der Themen und der Quellen waren: Mythologie, Wissenschaft (vor allem die Biologie von Darwin bis zur Gegenwart), H. G. Wells’ The Island of Dr. Moreau (wegen des Plots am ehesten und wegen der Wissenschaft), Maurice Renards Le Docteur Lernen (wegen der Sexualität, wegen der Chimären und wegen des Stiers – nebenbei bemerkt: der Roman ist eines jener Juwele, die gute Freunde oder der Zufall an einen herantragen und die man dann, nach der Lektüre, sein Leben lang bei sich behält), Raymond Queneaus Saint Glinglin (wegen der Mythologie en miniature: den Berg Ida kann man überall finden) und Arno Schmidts Die Gelehrtenrepublik (wegen all dem zusammen).
Wenn ich mehr dazu sagen würde, würde ich zuviel verraten, mehr würde ich also dann erst dazu sagen wollen, wenn alle von mir aus infrage kommenden Personen den Film gesehen haben und wenn ich ausreichend Zeit zur Reflektion gehabt haben würde.

Dienstag, 14. Juli 2015

Die Herberge zur Vernunft

Auf halbem Wege zwischen Glaube und Kritik liegt die Herberge zur Vernunft. Die Vernunft ist der Glaube an etwas, das man ohne Glauben verstehen kann; doch bleibt es noch immer ein Glaube, denn verstehen setzt voraus, daß es etwas Verstehbares gibt.

(Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares, hrsg. von Richard Zenith, Zürich 2003, S.182).

Montag, 13. Juli 2015

Gewinn aus der Beirrung

Ein Kriterium für intellektuelle Gesundheit ist die Spannweite von Unvereinbarkeiten im Hinblick auf ein und dieselbe Sache, die ausgehalten wird und dazu noch Anreiz bietet, Gewinn aus der Beirrung zu ziehen.

(Hans Blumenberg)

Donnerstag, 9. Juli 2015

Vor der Suche

Nachdem ich bei den Gebrüdern de Goncourt bereits so viel Schlechtes über ihn gelesen habe …


Ich bin an einen Punkt gelangt, oder besser: ich befinde mich in einer Lage, in der man fürchten muß, daß man die Dinge, die zu sagen man am meisten wünschte – oder in Ermangelung solcher, falls das Nachlassen der Sensibilität, das den Bankrott des Talents bedeutet, dies nicht mehr erlauben sollte, mindestens die danach kommenden, die man allerdings im Vergleich zu dem höchsten und heiligsten Ideal nicht sehr hoch einzuschätzen geneigt war, die man aber immerhin nirgends gelesen hat, von denen man annehmen kann, daß sie nicht gesagt werden, wenn man selbst sie nicht sagt, und von denen man erkennt, daß sie doch mit einem, wenn auch weniger tiefen Teil unseres Geistes verbunden sind – plötzlich nicht mehr sagen kann. Man betrachtet sich nur noch als den Träger von geistigen Geheimnissen, der jeden Augenblick verschwinden kann, wobei diese mit ihm verschwinden werden. Und man möchte das Beharrungsvermögen der früheren Trägheit überwinden, indem man ein schönes Gebot Christi aus dem Johannesevangelium befolgt: »Arbeitet, dieweil ihr das Licht habt.«

(Marcel Proust, Gegen Sainte-Beuve, Frankfurt am Main 1962, S. 7).

Dienstag, 7. Juli 2015

b, c, d und Konsorten

Die Verfeinerung des Geistes führt zum geistigen ›Konsonantismus‹.

(Alberto Savinio, Mein privates Lexikon, zusammengestellt und mit einem Nachwort versehen von Richard Schroetter, Frankfurt am Main 2005, Stichwort Naphthalin, S. 268).

Montag, 6. Juli 2015

Eine Melancholie, poetisch artikuliert

La nuit tombait doucement, et la parole du vieillard devenait, de plus en plus, une parole de clair-obscur, une parole s'approchant du grand silence.

(Aus dem Journal der Gebrüder de Goncourt, Eintrag vom 19. Februar 1869).

… et vice versa

Kalt is draus, des miasma ausnützen, bleima herinn.

(Gerhard Polt).

Samstag, 4. Juli 2015

Damals wie heute

21. Oktober [1868] – Als man Mornys [Charles-Auguste-Louis-Joseph Duc de Morny, 1811-1865, Politiker] Autopsie machte, als man sein Gehirn aus der Knochenhülle zog und nichts hatte, um die Leere wieder zu füllen, stopfte man ein paar Nummern des Figaro und des Petit Journal hinein. Der Inhalt dieses Hauptes wurde damit kaum verändert …

(Edmond & Jules de Goncourt, Journal. Erinnerungen aus dem literarischen Leben, Leipzig 2013, Bd. 4, S. 616).

Donnerstag, 2. Juli 2015

Nochmals zu Harry Rowohlt und James Joyce

Am 16. Juni hieß es hier:

Heute ist Bloomsday, ein Feiertag, es gilt aber auch, zweier Verstorbener zu gedenken (es ist ja auch der Tag von Paddy Dignams Beisetzung): am 16. Juni 1955 starb in Triest James Joyces Bruder Stanislaus, seines Bruders Hüter …: eine seltsame Koinzidenz … und hätte Harry Rowohlt noch einen Tag gewartet, dann wäre der Bloomsday sein Todestag gewesen …

Nun, zu dem zweiten Verstorbenen:

Auch Harry Rowohlt hatte zu dem Thema Dichotomien etwas gesagt: »Immer wieder fragen mich Menschen, ob ich nicht mal Lust hätte, den Ulysses neu zu übersetzen. Das ist völlig undenkbar, denn man ist entweder Flann-O’Brien-Fan oder Joyce-Fan. Beides zugleich geht nicht. Man steht entweder auf Beatles oder Stones, man steht entweder auf Gina Lollobrigida oder auf Sophia Loren, man steht entweder auf Paris oder London. Beides hat in einem Menschenherzen keinen Platz. So ist das eben auch mit Flann O’Brien und Joyce. Das ist wie St. Pauli und HSV. Entweder oder.« (In Schlucken-zwei-Spechte. Harry Rowohlt erzählt Ralf Sotscheck sein Leben von der Wiege bis zur Biege, Berlin 2002, S. 146f.). – Nun, im Herzen von Hans Köberlin waren viele Kammern, er war sowohl Flann-O’Brien-Fan als auch Joyce-Fan, das ging beides bei ihm sehr gut. Was die beiden Combos anging, das hatten wir eben (…) geklärt, und nach allem, was er über Georg Seeßlen von den beiden Diven wußte (vgl. * und **), würde Hans Köberlin die Lollobrigida der Loren vorziehen, bei der Stadt der Liebe und der Hauptstadt der Angeln und der Sachsen würde er wieder nicht entscheiden wollen und die Frage, ob St. Pauli oder HSV ging ihm so ziemlich am Arsch vorbei.


* Man erinnere sich: Moses (The Ten Commandments, 1956) & Ben Hur (1959) Charlton ›get your gun‹ Heston als El Cid (neben Sophia Loren, vgl. Georg Seeßlen, Erotik. Ästhetik des erotischen Films, Marburg 3. Auflage 1996, S. 83f.: »In den Historienfilmen wie etwa Attila, flagello di dio (Pietro Francesci, 1954) oder, später, El Cid (Anthony Mann, 1961) ist sie (Sophia Loren) von einer mehr aristokratischen Ausstrahlung als Gina Lollobrigida (auf die kommen wir noch); sie ist nicht, wie diese, unbewußte Auslöserin, sondern denkende und handelnde Person im geschichtlichen Drama, und ihre erotische Triebkraft ist an moralischen Rastern gebrochen. War Gina Lollobrigida eine unschuldige Provokation gegen die Hierarchie die Männerwelt (… [das hier ausgelassene präsentieren wir unten, wenn es um Gina Lollobrigida geht]), so entwickelt sich der Loren-Typus zu einer Art der weiblichen Bestätigung des dynastischen Prinzips.«) … – Nebenbei bemerkt: es gab bei allen Vorbehalten gegen Heston drei wirklich gute Filme mit ihm, nämlich der weiter oben bereits erwähnte Film von Orson Welles, Touch of Evil (1958), Franklin J. Schaffners Originalversion von Planet of the Apes (1968) und, an der Seite von Edward G. Robinson, Richard Fleischers Soylent Green (1973).
** Wegen Jean Delannoys Verfilmung von Hugos Notre-Dame de Paris aus dem Jahr 1957, in der Anthony Quinn den Quasimodo spielte … Gina Lollobrigida … hier das eben bei Sophia Loren ausgelassene: »… wie sie als schöne Zigeunerin Esmeralda als ein ›natürlicher Mensch‹ inmitten einer bizarren, besessenen und erstickenden (Männer-)Welt erschienen war, der die mühsam unterdrückten Triebregungen wieder erweckt, zugleich aber auch die Fähigkeit zu reiner Liebe schafft« (Seeßlen, Ästhetik des erotischen Films, a. a. O., S. 84.). Wie bei der Adaption von Ecos Roman, so blieb auch bei dieser Hugoverfilmung der weiblichen Protagonistin der im Roman vorgesehene Tod auf dem Scheiterhaufen erspart, vielleicht aus ähnlichen Motiven, die Schiller dazu veranlaßten, seine Johanna nicht verbrennen, sondern enthaupten zu lassen.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel V [Phase I – oder: Altlasten], 13. Oktober bis 2. November 2013 und Kapitel X [Phase IV – oder: modus vivendi], 7. bis zum 30. Januar 2014).