Dienstag, 25. Juli 2023

1970-06-18 New York [Sonntag, der 23. Februar 2014]

Zu diesem Frühstück mit Spiegelei hörte Hans Köberlin jenes Konzert, das Miles Davis am 18. Juni 1970 at the Fillmore East gegeben hatte. Die Sets waren fast identisch gewesen in jenen Tagen und Hans Köberlin nahm sich einmal wieder vor, das Vertraute der Stücke zu transzendieren und sehr genau zuzuhören und auf die den Augenblicken der Aufführung entsprungenen Nuancen zu achten, und wir bemühen uns einmal wieder mehr oder weniger dilettantisch, dieses Unterfangen einigermaßen in Worte zu fassen. – Zum Auftakt natürlich Directions, das Stück hatte hier nicht für es charakteristisch mit Baß und Schlagzeug begonnen, sondern ein kleines Willie Nelson-Vorspiel außerhalb des üblichen Grooves bekommen, zu dem es auch nicht – wie bei Interpretationen vorher und nachher, etwa in einem halben Jahr in Washington – wieder fand, sondern eher in einem mittlerweile bereits ein Jahr lang hin zu der Jack Johnson-Zeit gereiften Stil von Bitches Brew blieb. Dem entsprechend folgte The Mask, dem Hans Köberlin bei jedem Hören mehr abgewinnen konnte. Bei dem Auftritt gestern aus der Zeit unmittelbar nach Bitches Brew war die Band mit dem Bitches Brew-Repertoir  n o c h  n i c h t  w i e  Bitches Brew aufgetreten, und jetzt schon  n i c h t  m e h r  w i e. Wenn Heraklit recht hatte, dann bei Miles Davis. Es folgte It’s About That Time, noch erkennbar, aber schon sehr weit entfernt von In A Silent Way. Geführt von den Baßläufen hatte Hans Köberlin keine Mühe, genau zuzuhören. Es verlief sich dann und die Trompete erfüllte den Raum eine kurze Weile, um auf Bitches Brew überzuleiten, das – wie auch sonst?! – charakteristisch begann, so blieb es eine Weile, dann kam es zu einer bemerkenswerten Reduktion auf Trompete und Orgel, die – wie am Vortag Chick Corea mit dem E-Piano – die Stelle des Baß einnahm, damit sollte es ausklingen, aber das Publikum bekam noch seine Zugabe, Spanish Key, das nahe an der Version der Studiosession blieb, und Hans Köberlin fühlte sich einmal wieder wie ein Faun.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XII [Fünfte Phase – oder: Un gringo en Calpe] Vom 10. Februar bis zum 6. März 2014, S. 1341f.).

1970-06-17 New York [Dienstag, der 18. Februar 2014]

Frühstück im leeren Wintergarten mit Miles Davis, diesmal mit jenem Konzert, das der am 17. Juni 1970 at the Fillmore East gegeben hatte. Er hatte hier neben Chick Corea am elektrischen Klavier noch Keith Jarrett – erstmals live dabei, zumindest in Hans Köberlins Sammlung – an der elektrischen Orgel, was für eine gewisse, von Hans Köberlin goutierte, Komplexität im Rhythmus sorgte. Es begann, wie damals üblich, mit Directions bei dem es plötzlich einen Bruch gab, der Hans Köberlin ein Mißverständnis in der Band vermuten ließ: alle hatten wohl gedacht, man sei mit dem Stück durch, als Miles Davis das Thema nochmals aufgriff, man setzte also das verbleibende Drittel wesentlich langsamer bis zu dem wirklichen Ende fort. Aus der Stille folgte, bereits in Richtung Jack Johnson, The Mask, das war in den ersten drei Minuten vor allem eine Improvisation Jarretts, dann, sehr schön, Baß und Trompete beziehungsweise Baß und Saxophon. Anschließend näherte man sich mit It’s About That Time wieder ein wenig dem schnellen Auftakt, es wurde groovy und schließlich kam, nach einem wunderbaren Übergang, Bitches Brew, dem Hans Köberlin, wie bei jedem Konzertmitschnitt, wieder neue Aspekte abgewann, diesmal den stockhausenen Aspekt, als der für das Stück charakteristische Baßlauf pausierte und Chick Chorea das Spiel vorgab, diesmal ohne dabei das Ganze zerfallen zu lassen. Hans Köberlin war sehr zufrieden mit dem, was er da gerade gehört hatte.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XII [Fünfte Phase – oder: Un gringo en Calpe] Vom 10. Februar bis zum 6. März 2014, S. 1280).