Dienstag, 14. Juni 2016

In the future

Die Fahrzeuge werden in der Zukunft nicht mehr nach aerodynamischen Aspekten konstruiert sein, das hat man nicht mehr nötig, die Widerstände der materiellen Realität werden fast vollkommen überwunden sein, man kann sich erlauben, ihr, der Realität, mit dekadenten Formen zu trotzen. ›Effizienz‹ wird als unzivilisierte Kategorie gelten.

Pfeffers Einsicht

Dabei arbeiten fast alle. Fast keiner drückt sich, sogar nachts wird gearbeitet. Alle sind dauernd beschäftigt, niemand hat Zeit. Den Anordnungen wird Folge geleistet, das weiß ich, das habe ich selber gesehen. Es hat also den Anschein, als sei alles in Ordnung. Die Wachleute bewachen, die Kraftfahrer fahren, die Ingenieure bauen, die Wissenschaftler schreiben Artikel, die Kassierer zahlen Geld aus … Hm, vielleicht ist dieses ganze Karussell ja nur dazu da, damit alle immer arbeiten?

(Arkadi & Boris Strugatzki, Die Schnecke am Hang; in: Werkausgabe, hrsg. von Sascha Mamczak und Erik Simon, München 2. Aufl. 2011, Bd. 3, S. 256).

als-ob

Samstag, der 14. Juni 2014


[256 / 68]
Nachdem er diese Nachricht, die er so lange in Gedanken durchgekaut, verschickt hatte, fühlte sich Hans Köberlin erschöpft und legte sich aufs Bett und schlief über den letzten Seiten der Historia de la eternidad von Borges, der heute vor 28 Jahren verstorben war, ein. Es war ihm leider kein solcher Borgestraum vergönnt, wie Clemens Limbularius ihn einst gehabt.* Der kurze Halbdämmerschlaf erfrischte Hans Köberlin, er beendete, als er daraus erwacht,** die Lektüre dieses Bandes, des dritten, um sich anschließend den vierten Band der Werke – Textos cautivos – vorzunehmen.


* Siehe vom Verf. … du rissest dich denn ein., Berlin 2010, S. 29ff. Clemens Limbulariusʼ Traum fasziniert uns noch nach aöö den Jahren, weshalb wir uns erlauben, ihn hier anzuführen: »Einmal (…) hatte er [Clemens Limbularius] das erstaunliche Glück gehabt, sich als Autor einer Erzählung mit Jorge Luis Borges als Autor einer Erzählung zu träumen: er träumte kurz vor sechs Uhr morgens (wie er später auf dem Radiowecker sah), daß Borges morgens vor dem Aufwachen träumte, daß ein Mann sich im Garten des Patio eines Hauses mit dem Liebhaber seiner Frau duellierte, ihn dabei erschoß oder mit dem Messer erstach (ahí están los soberbios cuchilleros y el peso de la daga silenciosa …) und anschließend in dem Garten begrub. Borges erzählte den Traum seiner Frau. Die bereitete sich gerade auf einen Wettkampf vor, bei dem es darum ging, in einem Becken im Wasser stehend einem Kälbchen mit einem Messer den Kopf abzuschneiden. Die Frau ging vor den Augen der Kampfrichter in das Wasser, das der Frau aber viel zu kalt war. Sie watete deshalb an die Ecke des Beckens und drehte den Hebel des Wasserhahns auf heiß und ließ heißes Wasser ein. Dann watete sie, während ihre Rivalin noch am Beckenrand stand und das heiße Wasser noch einlief, mit ihrem großen Messer auf das Kälbchen zu, drehte es auf den Rücken, was im Wasser ziemlich leicht zu bewerkstelligen war, bog ihm den Kopf zurück und schnitt ihm in die Kehle, durch Haut und Fleisch und Sehnen und durch die Luft- und Speiseröhre, also durch alles bis auf die Wirbelsäule, dann schnitt sie in diese, so fest und so weit sie konnte, etwa bis zur Hälfte, um schließlich den Kopf vom Körper einfach abzubrechen. Der hing dann bloß noch an der Nackenhaut am Körper (über das Blut bei der Prozedur hatte Clemens bei seiner Traumniederschrift nichts vermerkt). Borges’ Frau hatte also gewonnen und ihre Rivalin war traurig. Um ihre Rivalin, die auch ihre Freundin war, zu trösten, sagte Borges’ Frau, sie, die Freundin, habe zwar diesen Wettbewerb verloren, sei aber dafür die bessere Geschichtenerzählerin, sie solle ihr doch eine Geschichte erzählen. Die Freundin ließ sich derart trösten und meinte, sie habe erst heute am frühen Morgen eine Geschichte geschrieben. Darin ginge es um einen Mann, der herausbekommen habe, daß seine Frau ihn betrüge. Der Mann habe daraufhin seinen Nebenbuhler in den Garten des Hinterhofes des Hauses, in dem er lebte, gelockt, ihn dort in einem Duell getötet (ahí están los soberbios cuchilleros y el peso de la daga silenciosa …) und ihn anschließend im Garten begraben. Clemens kam im Traum darauf, daß es Borges darum ging, daß wann immer jemand eine Geschichte aufschrieb, ein anderer diese Geschichte träume, und Clemens wachte über diesem Gedanken, daß etwas mit etwas in einem Zusammenhang stand, den es eigentlich nicht geben sollte, auf.«
** Was, wenn wie bei Dornröschen hundert Jahre vergangen wären? – Seine Prinzessin hatte ihn nicht wachgeküßt.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel XXI [Phase 9 – oder: Die letzte Phase], 10. Juni bis 11. Juli 2014).