Herbert Neidhöfer, homme de lettres
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Montag, 26. Oktober 2015
Samstag, der 26. Oktober 2013
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Auch für den Samstag, den 26. Oktober 2013, war – dieses Eingeständnis erinnert uns fatal an Telos – die Quellenlage nicht ergiebig. Das Wetter war, wie gehabt, wunderbar (später, als es dann auch hier an der weißen Küste Herbst geworden war, sollte er in dem in seinem Idiom verfaßten kostenlosen Anzeigenblättchen lesen, daß es ein außergewöhnlich lange andauernder Sommer gewesen war),* Hans Köberlin war gelaufen, war geschwommen, hatte gefrühstückt und hatte sich ungeduscht und ohne ein Hemd zu bügeln an den Schreibtisch gesetzt. Nachmittags ging er nochmals Schwimmen und in die ›Tango Bar‹ und zum Abendessen aß er eine Dorade.
* Borges sprach in einem Essay über das Viertel seiner Kindheit von tausenden Tagen, von denen die Erinnerung nichts wisse, von trüben Zonen aus Zeit, die wucherten und danach verwitterten (vgl. Evaristo Carriego; in: Werke in 20 Bänden, hrsg. von Gisbert Haefs und Fritz Arnold, Bd. 2: Kabbala und Tango. Essays 1930-1932, Frankfurt am Main 1993, S. 18) …, und an anderer Stelle, in dem Essay über seinen verstorbenen Freund Evaristo Carriego, von weiteren präzisen und blinden Notizen, die demjenigen, der sie empfange, sorglos die räuberische Arbeit des Erzählen auferlegten, nämlich: Berichte wieder zu Bildern zu machen. Er, Borges glaubte, auf Carriego die chronologische Abfolge (also ihn aufzählend der Abfolge seiner Tage nachzugehen) – die weitgehend unsere Methode ist –, nicht anwenden zu können, weil dessen Leben Gespräch und Umherschweifen gewesen sei. Nun, Gespräche waren Hans Köberlins Sache nicht, und sein Umherschweifen hielt sich in Grenzen, so daß bei uns die Chronologie – soweit wir das überhaupt beurteilen können – ganz gut funktioniert. Dennoch bedienen wir uns ab und an auch der Alternativmethode, die Borges vorschlägt, nämlich Carriegos Ewigkeit, seine Wiederholungen zu suchen, denn nur eine zeitlose, liebevoll verweilende Beschreibung könne ihn einem zurückgeben (ebd., S. 30f.). Und es könnte sogar sein, daß wir, wenn Hans Köberlin seinen Lese- und Schreibmodus gefunden, auch diese Methode bevorzugen müssen, denn zu jedem Tag schreiben: »Über den heutigen Tag gibt es eigentlich nicht viel …« – Aber wir haben ja zum Glück Hans Köberlins Tagesabreißfilmkalender und seine Filmkalenderblattsammelkiste.
(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel V [Phase I – oder: Altlasten], 13. Oktober bis 2. November 2013).
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