Freitag, 11. Dezember 2015

Mittwoch, der 11. Dezember 2013



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Hans Köberlin war auch in der vergangenen Nacht ein paarmal wach geworden und er fragte sich am Morgen des Mittwochs, des 11. Dezembers 2013: »Ist das, weil ich weniger Wein trinke (aber soviel weniger ist es doch garnicht) oder weil ich eine Grippe ausbrüte?« Haben wir bereits erwähnt, daß Hans Köberlin ein Hypochonder war? Und um zu verhindern, daß eine Erkältung ihn anflog, verzichtete er auf den Dauerlauf, zumal es bedeckt und windig war, und erntete nach dem Frühstück in seinem Garten Zitronen für seine Ingwercocktails.*


* Das aktuelle Filmkalenderblatt hatte Hans Köberlin nicht aufgehoben. Im Vorjahr gab es einmal wieder einen Chabrol, nämlich anläßlich Jean-Louis Trintignants Geburtstag (*1930) ein Still aus Les biches (1968), auf dem er etwas weidwund dreinschauend neben einer sehr aufreizenden, nur mit einem Slip und einem Schal (allerdings leider mit einem sehr großen) bekleideten Stéphane Audran, die ihn aufzuheitern versuchte. Chabrol hatte den Film mittels Zwischentitel in vier Teile unterteilt …
  1. Prologue,
  2. Frederique,
  3. Why und
  4. Epilogue.
Im Prolog las die reiche Frederique (Stéphane Audran) auf einer Seinebrücke in Paris die auf das Motiv einer bestimmten Hirschkuh spezialisierte Straßenmalerin Why (Jacqueline Sassard) auf. In dem nach ihr benannten Teil dann nahm Frederique Why mit auf ihr Anwesen an der Côte d’Azur (sie war die Erbin einer dort angesiedelten Schiffswerft), ließ sie an ihrem (größtenteils im eher schlechten Sinne) dekadenten Leben teilnehmen und spannte ihr den Architekten Paul (Jean-Louis Trintignant) aus. In dem nach Why benannten Teil lebten die drei zusammen auf dem Anwesen, nachdem Frederique auf untergründiges Insistieren Pauls und Whys hin ihre beiden Hofnarren weggejagt hatte, und im Epilog schließlich folgte Why Frederique und Paul nach Paris, tötete Frederique und nahm deren Identität, die sie zuvor bereits imitiert hatte, vollkommen an (wie das genau zu verstehen war und wie weit das gehen würde, will meinen, ob Paul da mitmachte, das ließ Chabrol offen). Der Film lebte von der sexuellen Spannung, die aufzubauen Chabrol – nicht gerade subtil, aber wirksam – gelang, zumindest für den gelang, der – wie Hans Köberlin – auf so etwas immer aus war. Frederique drängte es zu Why, die sich neutral oder etwas schnippisch verhielt, bis Paul auftauchte, mit dem Why eine Nacht verbrachte und der sie wohl auch entjungferte. Why wollte ihn wiedersehen, aber Frederique ließ sich von Paul zu dem Zeitpunkt verführen, an dem der mit Why verabredet war. Die beiden wurden ein Paar, und, nach Vertreibung der Hofnarren, als sich alle drei mit Cognac betrunken hatten, sah es für einen Moment so aus, als reiße sich Paul alle beiden Frauen unter den Nagel, aber Frederique klärte die Verhältnisse, indem sie Paul ins Zimmer zog, bevor der Why küssen konnte. Why, die sagte, sie liebe sie alle beide, beobachtete Paul und Frederique dann durch das Schlüsselloch beim erotischen Treiben im Schlafzimmer. Es herrschte eine uneingestandene Aggression zwischen dem Mädchen und der Frau, uneingestanden, weil sie ›offen darüber redeten‹, wie man so sagte …
»Es macht dir doch nichts aus, daß ich Paul liebe?«
»Nein, wirklich nicht, ich freue mich, daß ihr glücklich seid.«
Chabrols Film war auch eine Kritik des Redens über Beziehungen. Es war ein Kampf der beiden Frauen, zuerst innerhalb ihrer Beziehung untereinander und dann der beiden Frauen um Paul. Frederique kämpfte mit den Waffen einer weltgewandten Frau, die unerfahrene Why kämpfte durch Mimikry an Frederique, was am Ende so weit ging, daß sie, nachdem sie Frederique getötet hatte, mit deren Stimme Paul anrief. Das Bild, das Why als Vorbild für die Hirschkuh diente, die sie zu Beginn des Films auf die Straße malte, und das später über ihrem Bett hing und herunterfiel, als sie nach Paris fuhr, zeigte eine große grüne Hirschkuh von der Seite mit einer hohlen Bauchhöhle, in der eine kleine, identisch gebildete, Hirschkuh stand. Es klang mehrmals an, daß sich Why als die kleine Hirschkuh sah und sich nach der großen Hirschkuh, die sie in sich barg, sehnte.
Und Jean Marais – unsere Bête und unser Orpheus und unser Fantomas – hatte heute Geburtstag (*1913), und Anna Heywood (*1932), weshalb das Still sie 1997 zeigte, wie sie in The Fox (Mark Rydell, 1967) Sandy Dennis küßte, und Geburtstag hatte heute auch Rita Moreno (*1931), weshalb es diesmal ein Still aus West Side Story (1961) … »I’ve just met a girl named Maria …« – Aber das hatte Rita Moreno ja nicht gesungen, sie hatte gesungen (und auch dies Hans Köberlin aus dem Herzen) »I like to be in America …«

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).