Sie erzählten tatsächlich schon damals, und ich verstehe nicht, wie ich es vergessen konnte, daß es Ihnen ein unangenehmes Gefühl sei, allein im Hotel zu wohnen. Ich sagte damals hiezu wahrscheinlich, daß ich mich im Gegenteil im Hotelzimmer besonders behaglich fühle. Nun ist das für mich wirklich so, ich habe es besonders voriges Jahr erfahren, wo ich im tiefen Winter längere Zeit in nordböhmischen Städten und Städtchen reisen mußte. Diesen Raum eines Hotelzimmers mit übersichtlichen vier Wänden, absperrbar für sich zu haben, sein aus bestimmten Stücken bestehendes Eigentum an bestimmten Stellen der Schränke, Tische und Kleiderrechen untergebracht zu wissen, gibt mir immer wieder wenigstens den Hauch eines Gefühls einer neuen, unverbrauchten, zu Besserem bestimmten, möglichst sich anspannenden Existenz, was ja allerdings vielleicht nichts anderes als eine über sich hinausgetriebene Verzweiflung ist, die sich in diesem kalten Grab eines Hotelzimmers am rechten Platze findet. Jedenfalls habe ich mich dort immer sehr wohl gefühlt und ich kann fast von jedem Hotelzimmer, in dem ich gelebt habe, nur das Beste erzählen.
(Franz Kafka am Sonntag, dem 3. November 1912, an Felice Bauer; siehe Franz Kafka, Briefe an Felice und andere Korrespondenz aus der Verlobungszeit, hrsg. von Erich Heller und Jürgen Born, Frankfurt am Main 1976, S. 71).
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