Die Referentin begann also mit dem Referat von Hans Köberlins Beschreibung einer geplanten aber – wen wunderts? – nie realisierten Installation mit dem Titel Das Universalbild. Diese Installation, so ging aus dem Text hervor, war inspiriert von Borges’ Erzählungen La biblioteca de Babel, El libro de arena und El aleph, wobei La biblioteca de Babel, wie sicher alle wüßten, wiederum in der Tradition von Leibniz stehe und vielleicht sogar von der Erzählung Die Universalbibliothek des preußischen Gymnasiallehrers und Kantianers Kurd Laßwitz inspiriert sei, Hans Köberlin jedenfalls habe sich bei Laßwitz die Anregung für seinen Titel geholt. Weiter erfuhr man, daß Hans Köberlin bei seiner Installation von einem Monitor mit einer bestimmten, der Einfachheit halber nicht allzu hohen Auflösung, sagen wir einmal sechshundertvierzig mal vierhundertachtzig, ausgegangen war, das ergaben dreihundertsiebentausendzweihundert Pixel. Ging man außerdem von zweihundertsechsundfünfzig RGB-Farben aus, so kam man per Kombinatorik zu einer sehr, sehr großen, aber endlichen (Ausrufungszeichen) Zahl von Möglichkeiten der Farbanordnung auf den dreihundertsiebentausendzweihundert Pixeln, jener sehr großen aber endlichen Zahl, die nach Hans Köberlin nichts anderes angab als die Zahl aller möglichen Bilder überhaupt, aller vergangenen und aller künftigen Bilder (…), sowohl aller – nennen wir sie einmal so – natürlichen Bilder, die alle jemals lebenden Menschen sahen und sehen werden, wenn sie irgendwohin schauen, als auch aller künstlichen Bilder in allen Phasen ihrer Entstehung und ihres Verfalls, von der Mona Lisa bis zu dem Beweisphoto eines Auffahrunfalls in einer Vorstadt mit Bürogebäuden, alle Bilder, seien sie nun gerahmt oder die bewegten Einzelbilder der Kinematographie (die gefilmten Fresken, die in Fellinis Roma in der Untergrundbahnbaustelle durch ihre Rezeption verschwinden), Bilder aus allen Perspektiven (die Camera obscura, die Clemens auf dem vatikanischen Deckengemälde gesehen hatte), den möglichen wie den unmöglichen (die Vogelperspektive bei Hitchcock), sofern sie bloß abbildbar waren. Und gäbe es einen Beobachter, der älter als die Welt werden könne, dann, so die Referentin, würde er mit Erstaunen – vielleicht – feststellen, daß es länger als das Bestehen der Welt brauchte, um Hans Köberlins Installation bis an das Ende eines vollen Durchlaufs zu betrachten, weil die Dauer der Welt ja bloß den Ablauf der realen Bilder ausmachte.
Ein Tuscheln ging durch den Raum, die Leute fragten sich, ob das logisch richtig war oder ob man ihnen einen Bären aufband.
Hans Köberlin, so die Kunsthistorikerin weiter, habe den Monitor irgendwo aufstellen und dann mit einem weißen Bildschirm als erstem Bild beginnen wollen, dann wäre die Kombinatorik in Gang gekommen, allerdings nicht systematisch mit einem Pixel links oben in der Ecke auf dem zweiten Bild et cetera, sondern zufallsgeneriert, damit es nicht die nächsten hunderttausend Jahre allzu langweilig werden würde, zufallsgeneriert aber ohne Wiederholung einer bereits aufgetauchten Kombination von Pixeln, denn man wollte ja irgendwann zu einem Ende kommen, das war ja die Pointe dieses Projekts. Und was man während ihrer Einführung im Hintergrund gesehen habe (sie blickte kurz hinter sich) und jetzt noch sehe sei der Versuch (man hörte die Ironie in ihrer Stimme), einen Ausschnitt aus diesem Projekt zu rekonstruieren.
Soviel dazu.
(aus: … du rissest dich denn ein., Berlin 2010, S. 488ff.).