Donnerstag, 3. August 2023

1970-12-18 Washington 1st Set [Dienstag, der 21. Januar 2014]

Beim Abrufen seiner elektronischen Post erfuhr er durch eine wohl gezielt lancierte Werbung im weltweiten Netz, daß im März ein neues Box-Set von Miles Davis aus der Bootleg-Serie erscheinen sollte, mit Aufnahmen aus der Bitches Brew- und Tribute to Jack Johnson-Zeit, und wenn Hans Köberlin wirklich in dieser sublunaren Welt weitermachen wollte, dann mußte er dieses Box-Set natürlich haben, egal wie leicht er sich machen wollte!
»Kein Glück ohne Fetischismus.«*
Aber zunächst hörte er zum Frühstück das erste Set jenes Konzerts, das Miles Davis am 18. Dezember 1970 in ›The Cellar Door‹-Club, 34th and M Street NW in Washington, D. C., gegeben hatte. Es dauerte gut eine Dreiviertelstunde und bestand aus Directions, Honky Tonk und What I Say. Diese Konzerte in Washington blieben, wie gesagt, während der vier Tage, in denen sie stattfanden, homogen und Hans Köberlin verlor sich gedankenleer im leeren Wintergarten wieder bei den durch Miles Davis Akzente möglich gewordenen Grooves von Jack DeJohnette, Keith Jarrett und Michael Henderson und bei dem schier endlosen Prolog, der Honky Tonk war, und bei dem schier endlosen Intro What I Say.

* Theodor W. Adorno, Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben; in: Gesammelte Schriften, hrsg. von Rolf Tiedemann unter Mitwirkung von Gretel Adorno, Susan Buck-Morss und Klaus Schultz, Frankfurt am Main 1986, Bd. 4, Auktion, S. 137. Wir haben dieses Diktum bereits oft zitiert.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, X [Vierte Phase – oder: modus vivendi] Vom 7. bis zum 30. Januar 2014, S. 1016).

1970-12-17 Washington [Dienstag, der 7. Januar 2014]

Die Sonne schien und es war windstill, so daß er, als er seine Runde durch hatte, auf der anderen Dachterrasse frühstücken konnte. Dazu wollte er, um an das gestrige Frühstück mit der jetzt abwesenden Frau erinnert zu werden, das Konzert hören, das Miles Davis am Folgetag, dem 17. Dezember 1970 also, in ›The Cellar Door‹-Club, 34th and M Street NW in Washington, D. C., gegeben hatte, denn von der Atmosphäre her entsprachen sich diese sechs aufgezeichneten Konzerte. Dazu war übrigens der Umzug des ganzen technischen Equippments obsolet geworden, denn Hans Köberlin hatte – wir haben vergessen, das da zu berichten, als es geschah –, als er mit der Frau im Zentrum des Ortes gewesen, sich einen kleinen blauen portablen Lautsprecher gekauft, den er nun überall an den Laptop oder auch an das Taschentelephon anschließen konnte. Hans Köberlin hörte in seiner exponierten Lage auf dem Dach auch dieses Konzert nicht laut genug, aber das tat der Musik keinen großen Abbruch. Es begann mit What I Say, wozu Jack DeJohnette,* Keith Jarrett und vor allem Michael Henderson wunderbar den Rhythmus vorlegten, gefolgt von dem über zwanzig Minuten äußerst langsam zelebrierten Honky Tonk und dies wiederum gefolgt von einer Interpretation von Itʼs About That Time, die stark von der In a Silent Way-Fassung abwich. Dann, wie bei jedem der vier Konzerttage, Keith Jarretts Improvisation, die in Inamorata überging, an diesem Tag von etwas zurückgehaltenerer Intensität als am Vortag und mit ein paar Takten Sanctuary endend. Morgen würde er dann zwei Jahre weiter in die On the Corner-Phase springen.

* Miles Davis selber sprach von diesem Schlagzeugrhythmus als der kleinen rhythmischen Figur, die Jack DeJonette während des ganzen Stücks durchziehn sollte, und Davis wollte, daß diese Figur alles enthalte, aber sie sollte auch Feuer haben, was sie ja hatte. Für Davis war What I Say nach eigenem Bekunden der Grundstein für LivE-EviL (1970), jenes Album, das aus diesen Auftritten in Washington herausdestilliert werden sollte. Es enthalte, so Davis, die Stimmung und den Rhythmus, die er gewollt hatte. Und weiter erinnerte es sich, daß bei dieser Platte etwas Komisches passiert sei: er habe plötzlich Sachen in den oberen Registern gehört; bei What I Say habe er viele hohe Noten auf der Trompete gespielt, die er normalerweise deswegen nicht gebracht, weil er sie nicht gehört habe, aber nachdem er seine neue Musik gespielt, habe sich das geändert (vgl. Miles Davis und Quincy Troupe, Die Autobiographie, München, 42000, S. 426f.).

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, X [Vierte Phase – oder: modus vivendi] Vom 7. bis zum 30. Januar 2014, S. 907f.).

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