Mittwoch, 4. Mai 2016

Ach ja …

Sonntag, der 4. Mai 2014


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In Borgesʼ Erzählung El espejo y la máscara beauftragte ein in der Schlacht siegreicher irischer König einen Poeten mit einem Epos. Der Dichter verfaßte ein klassisches Werk, das zwar mit einem Spiegel belohnt wurde, das aber den Wunsch nach etwas Unerhörterem nach sich zog. Der zweite Entwurf bot dieses Unerhörte, es wurde mit einer Maske belohnt, weckte aber beim König den Wunsch nach einer weiteren Steigerung. Der dritte Entwurf schließlich, der aus einem einzelnen Vers bestand, den der Dichter dem König ins Ohr flüsterte, zog als Geschenk ein Schwert nach sich, mit dem der Dichter sich selbst entleibte; der König aber zog als Bettler durch sein Reich.* ‒ »Betrachten wir einmal«, so Hans Köberlin, »abgesehen vom Drumherum der Geschichte, die drei Geschenke: der Dichter erkannte sich im Spiegel, zog die Maske auf, in der er sich nicht mehr erkannte, und brachte sich schließlich ‒ jenseits jeglichen Erkennens ‒ um. Man könnte das jetzt auf die Gestalt der drei Versuche übertragen: in der Klassik (v)erkennt man sich, in der Romantik ‒ dem Unerhörten ‒ wird man sich fremd und in … ‒ ja was?! ‒ … jedenfalls kann man nicht mehr weiter, hat man den Vers des Absoluten.«


* Jorge Luis Borges, Werke in 20 Bänden, hrsg. von Gisbert Haefs und Fritz Arnold, Frankfurt am Main 1991ff., Bd. 13, S. 147ff.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel XVII [Phase 7 – darin: Besuch von Freunden], 28. April bis 15. Mai 2014).