Samstag, 26. März 2016

Underwater

Mittwoch, der 26. März 2014


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In der Nacht zum Mittwoch, dem 26. März 2014, beschäftigte sich der träumende Hans Köberlin in seinem Traum mit drei skandinavischen Wörtern, deren Bedeutung nicht klar, die zu kennen aber äußerst wichtig war. Dann war er auf einem gigantischen Eisbrecher, der nachts durch die Straßen seines Geburtsortes ‒ das Bild ›Lennigstraße Ecke Kronenbergstraße‹ träumte er sehr realistisch* ‒, die anscheinend zu zugefrorenen Kanälen geworden waren, fuhr. Hans Köberlin stand bei dem Steuermann und dem Kapitän und einigen Mitpassagieren ganz vorne am Bug. Dann beschloß er, an das Heck zu gehen, um sich die Fahrrinne, die der Eisbrecher aufgebrochen, anzuschauen. Mühsam hangelte er sich an der Rehling entlang, denn es lag überall Schnee und es war glatt. Hinten saß ein Mann mit zwei Kindern, der Mann saß trotz der Kälte bloß in seinem weißen Feinrippunterhemd da. Hans Köberlin ging bis ganz an das Ende des Schiffes, bis an den Fahnenmast (also quasi »bis ans Ende der Fahnenstange«, wie man so sagte), wo er sich auf eine Ausbeulung dieses Mastes, ihn dabei umklammernd, stellte. Das erwies sich als keine gute Idee, das Schiff schwankte arg und Hans Köberlin sah in die Tiefe hinab, wo die riesigen Schrauben des Schiffes das Wasser schäumten und wo die dicken aufgerissenen und scharfkantigen Eisschollen trieben. Hans Köberlin wollte zurück, schaffte es aber nicht, weil er Bedenken hatte, sich zu rühren. Ein Matrose kam und Hans Köberlin bat ihn um Hilfe. Der aber war mit der Situation überfordert, meinte, er könne da auch nichts machen und gab bloße dumme Ratschläge. Hans Köberlin verlor darüber plötzlich den Halt, seine Hände rutschten an dem vereisten Holz des Mastes ab und er wurde wach, bevor er fiel. Seltsam, sagte er sich, und er fragte sich, wie er dazu gekommen, im mediterranen Frühling von Kälte, Schnee und Eis zu träumen.


* Hans Köberlin, dem beim Notieren dieses Traums der Auftakt von Heimito von Doderers Ein Mord den jeder begeht (München 5. Aufl. 1986, S. 5) einfiel ‒ Clemens Limbularius hatte in seinem Kommentar zu Hans Köberlins Idiosynchrasie-Essay auf diese Passage hingewiesen (vgl. vom Verf. … du rissest dich denn ein., Berlin 2010, S. 385) ‒, erinnerte sich bloß ungern an manche Aspekte seiner Kindheit.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel XIV [Phase 6 – oder: Sehnsucht], 13. März bis 10. April 2014).