Freitag, 5. Februar 2016

Chaplin à la Brecht

Sehen, wie einer nicht sieht, ist die beste Art und Weise, intensiv zu sehen, was er nicht sieht …

(Roland Barthes, Mythen des Alltags, Berlin 2010, S. 51).

Mittwoch, der 5. Februar 2014


[127 / 197]
Am Mittwoch, dem 5. Februar 2014, da gab es bloß ein Filmkalenderblatt aus dem Jahre 1997, das anläßlich des Geburtstags des Komponisten Bronislaw Kasper (geboren im Jahre 1902) ein Still mit Leslie Caron und Jean-Pierre Aumont aus Charles Walters Musical Lili (1953) zeigte.* Und Hans Köberlin notierte sich nach dem Erwachen folgende Träume: »Es gab einen Bandenkrieg zwischen verschiedenen, ethnisch sortierten, Banden (wahrscheinlich wegen des Gespräches mit dem Geschäftsführer des Etablissements für Ausziehtanz, vor ein paar Wochen oder gar schon Monaten, über den Aufsatz im Merkur über den Grad der operativen Schließung von Banden als Indikator für das Funktionieren von Demokratie), ein Bandenkrieg also, in dem ziemlich grausame Folter- und Tötungsmethoden – auch mit Strom und Wasser (Le petit soldat, 1963, Pierrot le Fou, 1965) – zur Anwendung kamen. Meine Sympathie hatte die Chefin einer chinesischen Triade (so heißen die doch, glaube ich). Dann, in einem anderen Traum, tauchte N___ wieder auf. Er saß auf dem Rücken von jemand anderem und hätte uns (?) sehen müssen, sah uns aber erst, als wir massiv auf ihn einredeten. Das alles passierte im Freien. Dann, in einem dritten Traum, gab es in strahlendem Sonnenschein (auf der Promenade meines Exils?) das Wiedersehen mit einem homosexuellen Paar. Ich machte Bilder mit einem Taschentelephon und hatte ein edles Gemüse gekauft, das ich zur Feier des Tages in einer Pfanne in Olivenöl briet. Was dabei herauskam war aber so wenig, daß wir noch Brot, Wurst und Käse auspackten.«


* Wir zitieren aus Hans Köberlins Arbeitsjournal vom Samstag, dem 8. September 2012: »Mit Anleihen an The Wizard of Oz (1939), vor allem in der Traumszene vor dem happy end, die Geschichte der Frau – hier eines Mädchens – zwischen zwei Männern, archetypisch: zwischen dem Charmeur, der alle haben konnte, und dem gebrochenen Melancholiker (daß Lili sich den gehbehinderten Mann in einer Tanzszene (!) imaginierte, war typisch Frau). Der ganzen Anlage nach wurde das Thema nicht dramatisch, sondern komödiantisch-poetisch verhandelt. Außerdem war es die Geschichte eines Mädchens, das erwachsen wurde und sich in der schwierigen postpubertären Übergangszeit an die Puppen hielt, die ihre Welt (die zwei Männer, die Frau des Charmeurs und der gutmütige Trottel) repräsentierten, wie sich ja auch Dorothys irreale Begleiter während ihrer präpubertären Initiation in Oz aus dem Personal ihrer Umwelt rekrutierten.«

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel XI [Erstes Intermezzo – oder: Zäsur], 31. Januar bis 9. Februar 2014).