Donnerstag, 2. September 2021

1960-03-22 Stockholm 1st Set [Samstag, der 25. Januar 2014]

Er las weiter, bis Mr Bloom Stephen die Photographie von der tiefdekolletierten Mrs Bloom zeigte, und stand dann auf, um im leeren Wintergarten zu frühstücken. Heute wollte er sich Miles Davis und John Coltrane bei dem ersten Set jenes Konzerts, das sie am 22. März 1960, also kurz vor Hans Köberlins Geburt, in der Stadt, in der Martin Beck sein Revier gehabt, gegeben hatten, stellen. Es begann nach der Vorstellung der Band mit einem sehr schnellen So What, Miles Davis spielte wunderbar, dann kam John Coltrane und Hans Köberlin, der als der Typus Nummer zwei auf Adornos Skala, »guter Zuhörer«, die während dieser Tournee dokumentierten Stücke nicht sämtlich im Kopf hatte, wartete auf den Moment, bei dem es nicht mehr passen würde, doch Coltrane blieb diesmal im Rahmen. Es folgte Fran Dance in einem Tempo, bei dem jede Exaltation sofort auffallen würde, auch hier hielt sich Coltrane zurück, war aber näher als zuvor dabei, die von Miles Davis getroffene Formentscheidung zu ignorieren. Das dritte und letzte Stück des Sets war Walkin’, auch hier begann Coltrane passend zu Miles Davis’ vorangegangenem Solo, drohte auch hier ein paarmal, in sein eigenes Ding abzudriften, fings sich aber wieder, sein Solo war bloß etwas zu lang. Hans Köberlin wußte aber, daß es bei zweiten Set des Abends anders kommen würde …

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, X [Vierte Phase – oder: modus vivendi] Vom 7. bis zum 30. Januar 2014, S. 1049f.).

1960-03-21 Paris 2nd Set [Sonntag, der 12. Januar 2014]

Das Wetter erlaubte das Frühstücken auf der anderen Dachterrasse. Folgte er seinen selberaufgestellten Regeln – und das wollte er heute tun –, stand wieder eines jener problematischen letzten gemeinsamen Konzerte Davis’ mit John Coltrane* an, und zwar das zweite Set des Konzerts in der Stadt der Liebe vom 21. März 1960. Es war das gleiche Spiel wie bei dem ersten Set, Coltranes Soli sprengten den ästhetischen Rahmen der Sets – was meint: außerhalb dieses Kontexts wären sie genial gewesen –, bis auf Oleo, wo er bei 4’:23’’ nicht den Raum dazu hatte und sich wohl einfügen mußte.

* Wie gesagt, Hans Köberlins Miles-Davis-Bücher hatten keinen Eingang in die Basisbibliothek gefunden und waren in einer der Bücherkisten im Gutshof des Verlegers südwestlich der Hauptstadt eingelagert. Deshalb möchten wir nun das, was Hans Köberlin in zwei von ihnen zu dieser Tournee nachgelesen hätte, zitieren. Zunächst aus Miles Davis’ unter Mitwirkung von Quincy Troupe verfaßten Autobiographie: »Es war jetzt Frühjahr 1960 und Norman Granz hatte mich und meine Band für eine Europatournee gebucht. Es sollte eine ziemlich lange Tour sein, von März bis Ende April. Trane wollte eigentlich vor der Tournee aussteigen […] Als ich Trane das nächste Mal sah, sagte ich: ›[…] Wenn du aufhören willst, dann hör auf. Aber kannst du nicht wenigstens warten, bis wir aus Europa zurück sind?‹ Wenn er jetzt gegangen wäre, hätte er mich wirklich hängenlassen, denn außer ihm kannte niemand die Songs. Schließlich kam er doch mit, aber während der ganzen Tournee blieb er für sich und schimpfte und maulte vor sich hin. Es war klar, daß er nach unserer Rückkehr die Gruppe verlassen würde. Aber bevor er ging, schenkte ich ihm das besagte Sopransaxophon und gleich als er drauf spielte, konnte ich hören, wie revolutionär es sich auf seinen späteren Tenorstil auswirken würde. Ich sagte ihm oft im Scherz, daß er dieser Reise sein Sopransaxophon verdankt und er deshalb sein Leben lang in meiner Schuld stehn würde. Dann lachte er, bis ihm die Tränen kamen, und ich sagte: ›Trane, ich mein es ernst.‹ Er umarmte mich ganz fest und sagte: ›Miles, du hast ja recht.‹ Aber das war viel später, als er seine eigene Band hatte, die einfach jeden mit ihrem Kram umhaute. Gleich nachdem wir wieder in den Staaten waren, im Mai, verließ Trane die Gruppe und bekam ein Engagement in der Jazz Gallery.« (Miles Davis und Quincy Troupe, Die Autobiographie, München 4. Aufl. 2000, S. 333f.). Nicht ganz so moderat klang das bei Ian Carr: »Wo immer Miles mit seiner Band auftrat, gab es – zuweilen sehr heftige – Kontroversen wegen Coltrane. Vor allem ging es um das im Jazz noch nie dagewesene (physische und geistige) Stehvermögen des Saxophonisten. Er setzte für die Kunst der Improvisation neue Maßstäbe. Improvisieren bedeutete jetzt nicht mehr, ein leichtverdauliches melodisches Thema gefällig zu variieren; bei Coltrane waren die Improvisationen ein gewaltiger, unaufhörlicher Strom origineller Ideen, die mit äußerster Intensität vorgetragen wurden […] Anfang 1960 muß Coltrane klargeworden sein, daß er sich von Miles trennen und eigene Wege gehen mußte, um das, was in ihm steckte, zu verwirklichen und die Anerkennung zu bekommen, die er brauchte. Jimmy Cobb beschreibt die Situation in diesen letzten hektischen Monaten, die Coltrane noch in Milesʼ Quintett verbrachte: ›Coltrane spielte ganze Nächte durch, selbst in den Pausen stellte er sich irgendwohin und spielte … in irgendeiner Ecke oder so …, Miles mußte ihn oft unterbrechen, weil er sonst eine Stunde lang solo gespielt hätte, auch wenn unser Auftritt nur vierzig Minuten dauern sollte. Das war unglaublich – er konnte einfach nicht aufhören. Miles sagte: ›Hör mal, Mann, warum spielst du nicht 27 Chorusse statt 28?‹ … Und Coltrane antwortete: ›Wenn ich mal so richtig drin bin, weiß ich nicht, wie ich aufhören soll.‹ Als er das wieder mal nicht wußte, sagte Miles zu ihm: ›Versuch doch mal, das Saxophon aus dem Mund zu nehmen!‹‹ Im März und April nahm das Miles Davis Quintett an einer von Norman Granz organisierten […] Tour teil. Die Tournee führte durch Skandinavien, Frankreich und Deutschland; es war das erstemal, daß Miles mit seiner kompletten Band im Ausland spielte. Coltrane wollte zwar aussteigen, aber Miles konnte ihn trotzdem zur Teilnahme an der Tournee überreden. Jimmy Cobb erinnert sich: ›Er hatte nur seine Saxophone mit sich, einen Handkoffer und einen Kulturbeutel. Eigentlich wollte er gar nicht mitkommen, aber Miles hat ihn dazu überredet. Er saß im Bus neben mir und sah aus, als ob er Jeden Moment abhauen wollte.‹ In Deutschland und Frankreich gab es heftige Kontroversen wegen Coltrane. Als er bei einem größeren Konzert in Deutschland ausgebuht wurde, soll Miles – Gerüchten zufolge – vor Wut zu spielen aufgehört und seine Band von der Bühne geführt haben. In Frankreich gab es nicht nur Verwirrung über Miles Verhalten auf der Bühne, sondern auch beträchtliche Verärgerung über Coltrane, und das Publikum verließ scharenweise die Konzertsäle […] Nach einigen weiteren Auftritten mit Miles in den USA verließ Coltrane das Quintett, um eine eigene Band zu gründen. Sein Weggang traf Miles hart; während ihres letzten gemeinsamen Auftritts in Philadelphia brach Miles beinahe zusammen und weinte. Er war so mitgenommen, daß er sogar ans Mikrophon ging und eine kurze Ansage machte, daß der Saxophonist die Band verlassen werde.« (Ian Carr, Miles Davis. Eine kritische Biographie, Baden 1985, S. 133f.).

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, X [Vierte Phase – oder: modus vivendi] Vom 7. bis zum 30. Januar 2014, S. 945f.).

1960-03-21 Paris 1st Set [Samstag, der 28. Dezember 2013]

Zum Frühstück gab es diesmal das erste Set eines Konzerts, das im Rahmen der letzten gemeinsamen Tournee von Davis und Coltrane am 21. März 1960, also kurz vor Hans Köberlins Geburt, in der Stadt der Liebe stattgefunden hatte. Auf dieser Tournee wurde auf erschütternde Art und Weise offenbar, daß Davis und Coltrane nicht mehr miteinander spielen konnten. »Sie waren«, so Hans Köberlin, »aus verschiedenen Richtungen gekommen, dann hatten sich ihre Wege gekreuzt, was der Nachwelt den Geniestreich Kind of Blue hinterlassen, dann hätte jeder wieder seiner Wege gehen sollen, anstatt gemeinsam auf diese Tournee zu gehen.« Das Mißverständnis sollte von Konzert zu Konzert größer werden, hier bekam man bei Coltranes Solo in All of You eine Ahnung, wo das hinführen würde, bei So What, dem Eröffnungsstück von Kind of Blue, hier wesentlich schneller, ging es dann wieder, als sei das Stück zu stark, unpassende Ausbrüche zuzulassen – aber in Stockholm sollte es auch da anders kommen –, und in On Green Dolphin Street schließlich konnte man manchmal für Momente den Eindruck gewinnen, Coltrane habe vergessen, daß er nicht allein auf der Bühne stand. Hans Köberlin bedauerte, daß seine Miles-Davis-Bücher keinen Eingang in die Basisbibliothek gefunden hatten, und er war froh, daß ersteinmal viele andere Konzerte kommen würden, bis das zweite Set dieses Tages an der Reihe war.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, IX [Der zweite Besuch der Frau] Vom 20. Dezember 2013 bis zum 6. Januar 2014, S. 844f.).

1958-09-09 New York [Mittwoch, der 19. März 2014]

Zum Frühstück hörte Hans Köberlin den Mitschnitt jenes Konzerts, das Miles Davis am 9. September 1958 in dem Plaza Hotel der Stadt, die niemals schlief, gegeben hatte, und zwar – bis auf das erste Stück, das ohne Cannonball Adderley war – mit jener Quintett-Besetzung, die ein Jahr später Kind of Blue einspielen würde. Als er es zum Hören aus seinem digitalen Archiv heraussuchte, fand er tatsächlich noch einen weiteren zuvor übersehnen Mitschnitt – er war falsch deklariert gewesen –, nämlich vom 18. Februar 1956 im Pasadena Civic Auditorium. Den würde es nun morgen geben. Heute begann Miles Davis mit If I Where a Bell, er spielte mit Dämpfer, dann kam Oleo in der gleichen Manier, Cannonball Adderley und John Coltrane bekamen viel Raum für ihre Soli, die aus sehr schnellen Läufen bestanden, das lyrische Spiel von Kind of Blue und Somethinʼ Else sollte wohl erst noch kommen. Als nächstes folgte My Funny Valentine in einer, wie Hans Köberlin fand, sehr schönen Interpretation, Miles Davis spielte immer noch mit dem Dämpfer und die beiden Saxophonisten hatten Pause. Den Abschluß bildete Straight, No Chaser, bei dem Miles Davis endlich den Dämpfer weggelegt hatte. Hier gab es wieder viel Platz für die schnellen Saxophonläufe. Hans Köberlin fand den Mitschnitt ganz gut so, aber bis auf My Funny Valentine nicht bemerkenswert.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XIII [Sechste Phase ‒ oder: Gift und Geschlechtsverzweiflung] Vom 13. März bis zum 10. April 2014, S. noch offen).

1958-07-03 Newport [Freitag, der 27. Dezember 2013]

Hans Köberlin stand dann auf, um das Frühstück zu richten. Wie gestern sollte es dazu eine Aufzeichnung von dem Newport Jazz Festival geben, diesmal drei Jahre später, als Miles Davis dort am 3. Juli 1958 mit John Coltrane gespielt hatte. Hans Köberlins Favoriten waren die langsameren Stücke Fran Dance und Bye Bye Blackbird mit dem Solo von Coltrane, Two Bass Hit aber klang ihm zu arg nach der Erkennungsmelodie einer Fernsehshow. Und wie es von ’Round Midnight für Hans Köberlins Ohren die außergewöhnliche Interpretation von Robert Wyatt gab, so gab es von Bye Bye Blackbird die von Nina Simone, aufgenommen 1961 in der Stadt die niemals schlief.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, IX [Der zweite Besuch der Frau] Vom 20. Dezember 2013 bis zum 6. Januar 2014, S. 839f.).

1957-12-08 Amsterdam [Dienstag, der 8. März 2014]

Zum Frühstück im leeren Wintergarten hörte Hans Köberlin den Mittschnitt jenes Konzerts, das Miles Davis am 8. Dezember 1957 in jener Stadt gegeben, deren Kais Jacques Brel besungen hatte. Eigentlich handelte es sich um zwei Sets, aber da sich keines der Stücke wiederholte, hörte Hans Köberlin beide wieder am Stück. Es waren eher ruhige Stücke und Hans Köberlin war von seinem physischen Empfinden her in einer melancholischen Stimmung und nicht so bei der Sache, heute. Bei einer interessanten Version von A Night in Tunesia horchte er auf, triftete dann aber in Gedanken wieder ab, bis ihn die bisher langsamste Version von Walkinʼ, so kam es ihm jetzt zumindest vor, ihn erneut aufhorchen ließ. Insgesamt klang die Aufnahme manchmal so, als sei hier eine Langspielplatte, die bereits ein paar Kratzer gehabt, digitalisiert worden. ʼRound About Midnight war wieder einmal wunderbar melancholisch und paßte zur Stimmung, ein ihm unbekannter Barney Wilen spielte sehr schön auf dem Tenorsaxophon. Zum Abschluß gab es, fast schon wie ein Reggae, Ladybird.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XIII [Sechste Phase ‒ oder: Gift und Geschlechtsverzweiflung] Vom 13. März bis zum 10. April 2014, S. noch offen).

1957-11-30 Paris [Freitag, der 21. März 2014]

Zum Frühstück dann, der Witterungsumstände halber wieder im leeren Wintergarten – die Dachterrasse vor ein paar Tagen, war wohl die eine Schwalbe gewesen, die noch keinen Sommer gemacht, hörte er also wie vorgenommen den Mittschnitt jenes Konzerts, das Miles Davis am 30. November 1957 in der Stadt der Liebe gegeben hatte. Und das Ritual wollte kein Ende nehmen, denn in das digitale Archiv dieses Mitschnitts war ein Mitschnitt von einem Konzert – oder mehreren Konzerten? – geraten, die Miles Davis im Juli 1986 im Jardin des Arênes de Cimiez in jener Stadt, über deren Dächern Hitchcock 1955 einen Film mit Grace Kelly und Cary Grant gedreht,* gegeben hatte, veröffentlicht zunächst als Bonus zu Tutu und dann im kommenden Jahr in einer Box mit allen Alben der Jahre ‒ Miles Davis letzte Jahre ‒ bei den Gebrüdern Warner. Das Ende des Rituals zog sich also, wie gesagt, weiter hinaus, was sich bis jetzt noch aufgefunden hatte, war allerdings in Miles Davisʼ musikalischer Vita zu früh oder zu spät, um Hans Köberlin wirklich zu begeistern. ‒ Aber zurück in die Stadt der Liebe. Das Konzert, das in der Hinsicht bemerkenswert war, weil Miles Davis hier mit dem Rene Urtreger Trio spielte, mit dem er in der Folge den Soundtrack zu Malles Ascenseur Pour Lʼechafaud (1958) einspielen sollte,** und zu Hans Köberlins angenehmer Überraschung begann es auch in diesem Stil, ohne natürlich die Dramatik der Filmmusik zu haben. Hans Köberlin, etwas müde heute, ließ sich treiben, bis Bagsʼ Groove mit seinem markanten Intro kam. Anschließend gab es noch, gleichfalls beachtungsheischend, ʼRound Midnight, Nowʼs the Time und Walkinʼ.
»Doch, ganz schön, das Ganze.«
Und wie bei Bande à part (1964) vor drei Tagen dachte er, er hätte eine Dekade früher in der Stadt der Liebe, als sie noch in Schwarzweiß gewesen, geboren werden sollen.

* Wir zitieren aus Hans Köberlins Arbeitsjournal vom Sonntag, dem 7. April 2019: »Am Sonntag, dem 14. Februar 2010, schrieb ich, damals noch im Wahn oder zumindest in der Illusion: ›Hitchcock hatte den Film gegenüber Truffaut als ›eine leichte Geschichte‹ bezeichnet. Das war es auch, und ich hatte ihn etwas flotter in Erinnerung gehabt. Grace Kelly kam wirklich recht gut ins Bild. Über sie hatte Hitchcock gesagt: ›Weshalb ich immer wieder auf die mondän reservierten blonden Schauspielerinnen zurückkomme? Ich brauche Damen, wirkliche Damen, die dann im Schlafzimmer zu Nutten werden.‹ Hitchcock hatte einige wirklich schöne Anzüglichkeiten an der Zensur vorbeigebracht.‹«
** Bei einer Recherche im weltweiten Netz, irgendwann in den folgenden Tagen während eines Nachmittags in der ›Tango Bar‹, stellte Hans Köberlin fest, daß in der gleichen Besetzung auch das ein paar Tage zuvor gehörte Konzert vom 8. Dezember 1957 in der Stadt, der Kais Jacques Brel besungen, gegeben worden war. Und auch diesmal gefiel ihm Barney Wilen am Saxophon.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XIII [Sechste Phase ‒ oder: Gift und Geschlechtsverzweiflung] Vom 13. März bis zum 10. April 2014, S. noch offen).

1956-02-18 Pasadena [Donnerstag, der 20. März 2014]

Zum Frühstück hörte Hans Köberlin also jenen gestern wiedergefundenen über eine halbe Stunde gehenden Mitschnitt des Miles-Davis-Konzerts vom 18. Februar 1956 aus dem Pasadena Civic Auditorium. John Coltrane war da bereits dabei, nach einer längeren Vorstellung von einem gewissen Gene Norman und dem schnellen Eröffnungsstück Chance It kam eine sehr schöne Zehnminutenversion von Walkinʼ, sie kam quasi im Schrittempo daher. Dann nach einer weiteren Vorstellung – John Coltrane wurde als »Johnny Coltrane« vorgestellt und dann respektlos einfach als »Johnny« angesprochen – folgte It Never Entered My Mind, eine Ballade, die Hans Köberlin, wenn er sich recht erinnerte – was er nicht tat, siehe zum Beispiel Workinʼ –, außer bei diesem Konzert noch nie gehört hatte. Es folgten noch zwei schnelle Stücke, Woodyʼn You und Gillespies Salt Peanuts, das Davis ganz früher mit Charlie Parker gespielt hatte. Weil Hans Köberlin mit dem Frühstück noch nicht fertig war, hörte er im Anschluß Kind of Blue und war wie immer begeistert, und dann hörte er noch bei aufkommender Wollust wegen Francesʼ zum Draufküssen schönen Schultern Someday My Prince Will Come. Das Hören dieses Albums machte Hans Köberlin zufällig auf einen weiteren vergessenen Mitschnitt aufmerksam, nämlich auf den im Olympia in der Stadt der Liebe vom 30. November 1957. Den würde es morgen geben, der Abschluß des Rituals zog sich also dahin …

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XIII [Sechste Phase ‒ oder: Gift und Geschlechtsverzweiflung] Vom 13. März bis zum 10. April 2014, S. noch offen).

1955-07-17 Newport [Donnerstag, der 26. Dezember 2013]

Eine gute glücklich=sinnlich verbrachte Stunde später bereitete Hans Köberlin das Frühstück, zu dem man heute Miles Davis’ ersten – so weit Hans Köberlin informiert war – Auftritt auf dem Newport Jazz Festival am 17. Juli 1955 hören wollte. Der Duke stellte die Band vor, dann gab es Hackensack, ’Round Midnight und Now’s The Time, was natürlich nicht für die Dauer des Frühstücks reichte. Das erste und das dritte Stück wiesen, so Hans Köberlins Ansicht beim Marmeladenbrot, in die Vergangenheit, ’Round Midnight in die Zukunft, zumindest in die nächste Dekade, bis es elektrisch wurde, das Stück könnte uns, wenn Hans Köberlin mit diesem Ritual durchhalten sollte, noch bei manchem Frühstück begegnen. Und natürlich gab es da noch die Version von Robert Wyatt …
»… aucun n’accéderait à la beauté s’il ne passait point par la Musique.«*

* Michel Serres, musique, Paris 2011.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, IX [Der zweite Besuch der Frau] Vom 20. Dezember 2013 bis zum 6. Januar 2014, S. 829.).