Mittwoch, 1. September 2021

1952 sometimes in spring Saint Louis [Freitag, den 14. März 2014]

Zum Frühstück im leeren Wintergarten hörte er – er brauchte in der letzten Phase seines Rituals noch einmal etwas Abwechslung, jene neulich vergessenen Ausschnitte von Konzerten, die Miles Davis irgendwann im Frühling 1952 mit Jimmy Forrest at the Barrel St. Louis gegeben hatte.* Gillespies A Night In Tunisia, das durch den Duke populär gewordene Perdido und Oh, Lady Be Good von den Gershwins waren ja Gassenhauer, Hans Köberlin kannte neben diesen keines der Stücke außerhalb des Kontextes dieser Mitschnitte. Auf der im Tempo gleichbleibenden Rhythmusgruppe wechselten sich Miles Davis und Jimmy Forrest zwischen den Themen mit ihren Soli ab. »Before my time«, dachte Hans Köberlin, Lol Coxhill ziterend, nach einer Viertelstunde, und er meinte nicht allein die Zeit der Auftritte, sondern auch die Art des Jazz, er war nicht in der Lage, die für ein Goutieren notwendige Binnendifferenzierung zu vollziehen. Das erste ruhigere Stück ‒ Hans Köberlin hatte nicht mehr damit gerechnet ‒ war What’s New, damit konnte er schon ein wenig mehr anfangen. Auch das folgende Perdido war nicht so hektisch wie die ersten drei Titel, aber bei All The Things You Are zog das Tempo, außer bei dem darin enthaltenen Klaviersolo, wieder an. Die letzten drei Stücke waren ähnlich der ersten, bei Oh, Lady Be Good gab es noch ein paar Scat-Einlagen à la Ella … Hans Köberlin resümierte, daß damit nun also auch dieser Teil des Rituals erfüllt war.

* »So um die Zeit tat ich mich mit Jimmy Forrest zusammen, einem Tenorsaxophonisten aus St. Louis. Er war auch ein Junkie und wußte, wo es den besten Stoff gab. Wir spielten oft im Barrelhouse, einem Club draußen an der Delmar in St. Louis. Es kamen meistens nur Weiße raus und hier lernte ich dieses junge, schöne, reiche weiße Mädchen kennen, dessen Eltern eine Schuhfabrik besaßen. Sie mochte mich sehr und hatte viel Geld.« (Miles Davis und Quincy Troupe, Die Autobiographie, München, 42000, S. 200f.).

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XIII [Sechste Phase ‒ oder: Gift und Geschlechtsverzweiflung] Vom 13. März bis zum 10. April 2014, S. noch offen).

1951-02-17 / 06-22 / 09-29 New York [Sonntag, den 9. März 2014]



Zum Frühstück hörten sie drei Mittschnitte von Auftritten, die Miles Davis im Jahre 1951 am 17. Februar, dann am 2. Juni und schließlich am 29. September im ›Birdland‹ gegeben hatte, sie hörten gleich drei Mitschnitte wegen der Kürze der einzelnen Sets. Die Musik lag zwischen Birth of the Cool und Diggin’ With Miles Davis und war gleichsam hektisch, aber eben melodisch hektisch. Move gab es bei jedem Set, bei zweien Half Nelson, die anderen Titel hatte Hans Köberlin nicht parat. Es war ähnlich wie bei den beiden Konzerten am 4. September 1948 und am 18. September 1948 im ›Royal Rost‹ und Hans Köberlin kam nicht wirklich zu einem bewußten Hören, auch deswegen nicht, weil man sich über dieses und jenes unterhielt und die Musik für ein bewußtes Hören für Hans Köberlins Ohren zu leise hörte.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XIII [Zweites Intermezzo – oder: Die Hälfte der Zeit] Vom 7. bis zum 12. März 2014, S. 1492).