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Dann duschte Hans Köberlin ausgiebig und rasierte sich wie Buck Mulligan* und nahm etwas mehr eau de toilette als üblich, zog sich dem sehr warmen Nachmittag und dem zu erwartenden kühleren Abend entsprechend an und machte sich, den kleineren Laptop, Bücher und eine Flasche Wasser im Rucksack, nicht wie zuvor eingeübt durch das Hinterland, sondern, weil er noch viel Zeit hatte,** über die Strandpromenaden der Playa La Fossa-Levante und der Playa Arenal-Bol und dann die Haupteinkaufsstraße hoch und dann rechts flanierend auf den Weg zu dem Omnibusbahnhof. Und als Hans Köberlin beruhigt nach dem erfolgreichen Erwerb eines Tickets und der Bestätigung, daß das weltweite Netz und das Anzeigenblättchen die richtige Zeit der Abfahrt des Omnibusses genannt, dort wartend saß, begann er damit, quasi als Nachlese zu den
Forschungen eines Hundes, Elias Canettis Essay
Der andere Prozeß. Kafkas Briefe an Felice zu lesen, und wie immer, wenn Hans Köberlin Canetti las, stieß er gleich auf eine Passage, die er exzerpieren mußte. Er packte also sein Laptop aus und exzerpierte …
Für das Entsetzen des Lebens, dessen sich die meisten zum Glück nur manchmal, einige wenige aber, von inneren Mächten als Zeugen eingesetzt, immer bewußt sind, gibt es nur einen Trost: seine Einbeziehung in das Entsetzen vorangegangener Zeugen.
»… von inneren Mächten als Zeugen eingesetzt …«: Hans Köberlin fragte sich natürlich, was das für Mächte sein sollten … vielleicht die, die das Leben sein Leben spüren ließen (das ging wohl in Richtung einer ontischen Verzweiflung) … Bei Hans Köberlin galt das – die »Einbeziehung vorangegangener Zeugen« – allerdings für das Leben generell und nicht bloß für dessen Entsetzen, für das Leben und für seine eigenen Introspektionen: es beruhigte ihn (nicht immer brauchte man gleich Trost,*** manchmal auch bloß, wie Canetti wußte, Beruhigung, und Bändigung**** und manchmal auch bloß, wie Hans Köberlin wußte, ein Fläschchen Rotwein), Zeugen vergangenen Lebens und Akteure vergangener Introspektionen miteinzubeziehen. Und nicht zuletzt darum führen auch wir hier alle die uns und Hans Köberlin entsprechenden Zeugen vergangener Leben und alle dementsprechenden Akteure vergangener Introspektionen, denen wir habhaft werden, in unseren Einschüben und in unseren Fußnoten an. Seinesgleichen kommen zusammen,
The Usual Suspects (Bryan Singer, 1995) …
* »He shaved evenly and with care, in silence, seriously.« (James Joyce,
Ulysses, with an Introduction by Cedric Watts, London 2010, S. 5).
** Vielleicht war das eine Methode …: so zu früh sein, daß man langsam sein konnte … Borges hatte in einem Essay über die Karren seines Viertels geschrieben, der langsame Karren werde dauernd überholt, aber gerade dieses Zurückbleiben werde ihm zu Sieg, als wäre die Eile der anderen das furchtsame Hasten von Sklaven, die eigene Weile dagegen vollkommener Besitz der Zeit, beinahe der Ewigkeit, und dieser Besitz der Zeit sei das unendliche Kapital des criollo, die Weile könne man zur Unbeweglichkeit erhöhen, zum Besitz des Raums (vgl. Jorge Luis Borges,
Evaristo Carriego; in:
Werke in 20 Bänden, hrsg. von Gisbert Haefs und Fritz Arnold, Bd. 2:
Kabbala und Tango, Frankfurt am Main 1993, S. 86). Freilich würde Hans Köberlin gleich auf dem Aeropuerto vor dem Ausgang der Gelandeten in Erwartung der Frau stehend den Besitz der Weile nicht zu schätzen wissen.
*** Am 18. Februar 1920 schrieb Kafka in sein Tagebuch: »Er will keinen Trost, aber nicht deshalb weil er ihn nicht will – wer wollte ihn nicht – sondern weil Trost suchen heißt: dieser Arbeit sein Leben widmen, am Rande seiner Existenz, fast außerhalb ihrer immer zu leben, kaum mehr zu wissen, für wen man Trost sucht und daher nicht einmal imstande zu sein, wirksamen Trost zu finden (wirksamen, nicht etwa wahren, den es nicht gibt).« So, dachte sich Hans Köberlin, so war es vielleicht auch Lysa ergangen, die der Suche nach Heilung ihr Leben gewidmet hatte und darüber chronisch krank geworden war.
Und auch in dem unseres Wissens letzten erhaltenen Tagebucheintrag Kafkas, dem vom 12. Juni 1923, ging es um Trost, aber diesmal um seine Möglichkeit: »Immer ängstlicher im Niederschreiben. Es ist begreiflich. Jedes Wort, gewendet in der Hand der Geister – dieser Schwung der Hand ist ihre charakteristische Bewegung – wird zum Spieß, gekehrt gegen den Sprecher. Eine Bemerkung wie diese ganz besonders. Und so ins Unendliche. Der Trost wäre nur: es geschieht ob Du willst oder nicht. Und was Du willst, hilft nur unmerklich wenig. Mehr als Trost ist: Auch Du hast Waffen.«
**** »Es ist kaum zu glauben, wie der geschriebene Satz den Menschen beruhigt und bändigt.« (Elias Canetti,
Dialog mit einem grausamen Partner; in:
Das Gewissen der Worte. Essays, Frankfurt am Main 1981, S. 54, vgl. auch vom Verf.
Telos oder Beiträge zu einer Mythologie des Clemens Limbularius. Fragment, Berlin 2013, S. 152 und dort die Fußnote 466).
(aus:
¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VII [Der erste Besuch der Frau], 15. bis 18. November 2013).