Freitag, 3. April 2015

»Der Tod sei der Zweck des Lebens.« und andere Gedanken

Er verzichtete an diesem Morgen auf den Dauerlauf, weil er am Nachmittag in das Zentrum des Ortes gehen wollte. Durch eine gezielt lancierte Werbung im weltweiten Netz erfuhr er, daß im März ein neues Bootleg-Boxset von Miles Davis erscheinen sollte, aus der Bitches Brew- und Tribute to Jack Johnson-Zeit, und wenn Hans Köberlin wirklich in dieser sublunaren Welt weitermachen wollte, dann mußte er dieses Boxset natürlich kaufen.
Nach dem Frühstück las Hans Köberlin im leeren Wintergarten im Ulysses weiter. Man saß in der Kutscherkneipe und wurde von dem Matrosen angesprochen. In diesem Kapitel war die Chance, auf schönen Schweinkram zu stoßen, gering. Bei Luhmann las er anschließend: »Man kann angesichts der Komplexität der Welt nicht alle Bedingungen der Möglichkeit eines Sachverhalts in den Begriff dieses Sachverhalts aufnehmen; denn damit würde der Begriff jede Kontur und jede theoriebautechnische Verwendbarkeit verlieren.« (dieses und die folgenden Zitate aus: Was ist Kommunikation; in: Short Cuts, hrsg. von Heidi Paris, Peter Gente und Martin Weinmann, Frankfurt am Main 4. Aufl. 2002, S. 44ff.).  Und: »Jede andere Auffassung (als die Zwecklosigkeit der Kommunikation) müßte begründen, weshalb das System nach dem Erreichen seiner Zwecke fortdauert; oder man müßte, nicht ganz neu, sagen: Der Tod sei der Zweck des Lebens.«* Und: »Und selbst bei aktuellen Themen – selbst wenn man endlich einen Parkplatz gefunden hat und nach langen Fußmärschen das Café erreicht hat, wo es in Rom den besten Kaffee geben soll und dann die paar Tropfen trinkt – wo ist da Konsens oder Dissens, solange man den Spaß nicht durch Kommunikation verdirbt? (…) Es kann aber, und dies scheint mir für fernöstliche Kulturen zu gelten, auch umgekehrt sensibilisieren: Man vermeidet Kommunikation mit Ablehnungswahrscheinlichkeiten, man versucht Wünsche zu erfüllen, bevor sie geäußert wurden, und signalisiert eben dadurch Schranken; und man wirkt an der Kommunikation mit ohne zu widersprechen und ohne die Kommunikation dadurch zu stören, daß man Annahme oder Ablehnung zurückmeldet.« … wie Breton einmal gesagt hatte: hier bewege sich nicht der Mensch sondern die Erde. (André Breton (Hg.), Anthologie des schwarzen Humors, Frankfurt am Main 1979, S. 515). Und Jean Ferry, der gefragt hatte, ob es einem nicht auch schon einmal passiert sei, daß man den Fuß im Dunkeln auf die oberste Treppenstufe gesetzt habe, auf jene, die gar nicht vorhanden, und in diesem Land passiere einem das dauernd, der Stoff, aus dem jene nicht vorhandene Treppenstufe bestehe, sei hier der Stoff schlechthin (ebd.).


* Novalis’ 14. Blüthenstaubfragment fiel Hans Köberlin ein: »Leben ist der Anfang des Todes. Das Leben ist um des Todes willen.« (in: Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, hrsg. von Paul Kluckhohn und Richard Samuel, Stuttgart 1960ff., Bd. 2, S. 417).

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel X [Phase IV – oder: modus vivendi], 7. bis 30. Januar 2014).

Wie schon Gargantua sagte …

… il vault mieulx pleurer moins et boire dadvantaige!

… und:

Certaines diecules nous invisons les lupanares, et en ecstase venereique, inculcons nos veretres es penitissimes recesses des pudendes de ces meritricules amicabilissimes; puis cauponizons es tabernes meritoires …

Ein gnostischer Kommentar zu Psalm 23

Hebbels Version des Bibelwortes, daß der Herr ein Hirte sei, in einem Tagebucheintrag aus dm Jahre 1836: »Das aus dem Wagen eines Schlachters gehobene schlafende Kalb.«

Eine Randnotiz

Herzog Jean des Esseintes, der Protagonist von Huysmans A rebours, hatte sich fast genauso eingerichtet wie der Clemens Limbularius von … du rissest dich denn ein., in einem Haus an der Peripherie der Großstadt, und er nahm auch dessen Lästern über Politik und Presse vorweg: »Geradezu unerträglich litt er bei der Lektüre patriotischer und sozialer Torheiten, die jeden Morgen von den Zeitungen unter die Leute gebracht und mit denen die ehrsamen Leser abgespeist wurden.« (vgl. … du rissest dich denn ein., Berlin 2010, S. 15f.). Auch Hurengeschichten tauchten in A rebours auf, allerdings weniger erfolgreich als bei Clemens Limbularius, denn bei Jean des Esseintes hatte sich ein Überdruß eingestellt. Weitere wesentliche Unterschiede zwischen den beiden waren: Jean des Esseintes mußte nicht arbeiten, außerdem war er – im Gegensatz zu dem, was das Soziale betraf, konformistisch erscheinenden Clemens Limbularius – ein ziemlicher Exzentriker.

Gestern


Für gute Zeiten

Chesterton dachte, wie Whitman, die bloße Tatsache des Seins sei derart überwältigend, daß kein Unglück uns von einer Art kosmischer Dankbarkeit entbiden dürfe.

(Jorge Luis Borges, Über Chesterton; in: Werke in 20 Bänden, hrsg. von Gisbert Haefs und Fritz Arnold, Bd. 7: Inquisitionen, Frankfurt am Main 1992, S. 96).