Sonntag, 31. Oktober 2021

Blick aus dem Küchenfenster auf den Plattenbau

1961-04-21 San Francisco 3rd Set [Sonntag, der 26. Januar 2014]

Das Wetter war aber wieder einmal so, daß er zu seiner großen Freude auf der anderen Dachterrasse frühstücken und anschließend lesen und schreiben konnte. Zum Frühstück hörte er das dritte Set jenes Konzerts, das Miles Davis am Freitag, dem 21. April 1961, in jener Stadt gegeben, zu der man mit Blumen im Haar gehen sollte und in der Scottie Ferguson drei Jahre zuvor einem blonden Phantom nachgejagt war. Man spielte drei Titel über gut eine halbe Stunde, If I Were a Bell, Fran Dance und On Green Dolphin Street. Es war ein entspanntes Konzert oder jedenfalls wirkte es so und Hans Köberlin ertappte sich dabei, wie er seine Brote kauend und die wunderbare Landschaft im Sonnenschein betrachtend die Musik in den Hintergrund abtriften ließ und nicht mehr bewußt seinem Ritual entsprechend zuhörte, bei dem Baßsolo von Fran Dance fiel ihm das auf, und bei On Green Dolphin Street überlegte er gar, ob er vor seiner Reise in die Hauptstadt noch einmal Fish’n’Chips essen gehen sollte.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, X [Vierte Phase – oder: modus vivendi] Vom 7. bis zum 30. Januar 2014, S. 1052f.).

1961-04-21 San Francisco 2nd Set [Montag, der 13. Januar 2014]

Hans Köberlin frühstückte wegen des Windes wieder einmal in dem leeren Wintergarten und hörte dazu das zweite Set jenes Konzerts, welches Miles Davis am Freitag, dem 21. April 1961, in der Stadt, zu der man mit einigen Blumen im Haar reisen sollte, gegeben hatte, nicht im ›Fillmore West‹, sondern in ›The Blackhawk‹. Es war erhohlsam unspektakulär, im außermusikalischen Sinn gemeint, nach den Ausbrüchen Coltranes gestern. Mit All Of You begann es heiter, dann kam dramatisch Neo daher, was natürlich das Teo von Someday My Prince Will Come war, auf jeden Fall Hans Köberlins Favorit bei diesem Auftritt. Gerne würden wir hier mit Tonarten und Takten klugscheißen, aber das gehört leider ebensowenig zu unserem Repertoire wie zu dem unseres Protagonisten. Auf Neo oder Teo folgte wieder entspannt und leicht elegisch I Thought About You, dann Bye Bye Blackbird, mit Walkin’ noch ein flottes Stück, bei dem die Rhythmusgruppe ihre Soli hatte, und nach dem Thema schließlich ließ Wynton Kelly am Klavier noch mit ein paar Takten Love, I’ve Found You Hans Köberlins Frühstück ausklingen.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, X [Vierte Phase – oder: modus vivendi] Vom 7. bis zum 30. Januar 2014, S. 951).

1961-04-21 San Francisco 1st Set [Sonntag, der 29. Dezember 2013]

Es war, wie gesagt, wieder ein Gammeltag. Während des Frühstücks hörten sie das erste von drei Sets, die Miles Davis am Freitag, dem 21. April 1961, im ›Blackhawk‹ in San Francisco gegeben hatte. Es waren drei Titel, das schnelle Oleo, dann sehr lang und groovy No Blues und schließlich das Abschlußthema, alle drei Titel sehr dynamisch.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, IX [Der zweite Besuch der Frau] Vom 20. Dezember 2013 bis zum 6. Januar 2014, S. 853).

1960-10-11 Paris 2nd Set [Sonntag, der 23. März 2014]

Und weiter ging in dem sich länger als erwartet hinziehenden Abschluß des Frühstücksrituals mit dem Mitschnitt des zweiten Sets jenes Konzerts, das Miles Davis am 11. Oktober 1960 in der Stadt der Liebe gegeben hatte. Es begann mit einer sehr schönen Interpretation von Walkinʼ, sehr schön meinte, daß Hans Köberlin für die Musik zugänglich war, was auf eine weiche Stimmung schließen ließ. Jeder außer dem Bassisten bekam sein Solo. Als nächstes kam If I Were a Bell, Miles Davis spielte mit dem Dämpfer und Hans Köberlins Aufmerksamkeit wanderte etwas ab, weil er sich überlegte, wo er Miles Davis im Rahmen seiner Möglichkeiten hätte sehen können … es gab ein paar dokumentierte Konzerte ab 1986 aus dem Land seiner Herkunft, von denen er wußte, in seinem Fundus waren nur der Mitschnitt vom 10. Juli 1988 aus der Stadt bei den Mönchen, in der er zehn Jahre zuvor mit einem guten Freund gewesen. Auch Fran Dance, gleichfalls mit dem Dämpfer gespielt, konnte Hans Köberlins Aufmerksamkeit nicht fesseln, bis der Bassist endlich sein Solo bekam. Erstaunlicherweise gefiel ihm dann Two Bass Hit, ein Stück, das er sonst wegen seines etwas penetranten Themas nicht so mochte, aber das wurde hier quasi camoufliert. Dann kam All of You, das längste Stück des Sets, es kam wohlgefällig ruhig daher, ließ aber Hans Köberlin wieder abschweifen. Zum Abschluß gab es So What, wie meist auf der Bühne nicht so pointiert wie im Studio und viel zu schnell gespielt. Nach einer Weile hatte sich Hans Köberlin reingehört. Er kam darauf, daß es wie im Studio nur mit John Coltrane und Cannonball Adderley funktionieren konnte. Sonny Stitts Solo war gut, aber nur teilweise spezifisch für dieses Stück. Für seine Zeit sicherlich ein gutes Konzert, dachte sich Hans Köberlin nach dem Anspielen des Themas zum Abschluß.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XIII [Sechste Phase ‒ oder: Gift und Geschlechtsverzweiflung] Vom 13. März bis zum 10. April 2014, S. noch offen).

1960-10-11 Paris 1st Set [Samstag, der 22. März 2014]

Zum Frühstück hörte Hans Köberlin das erste Set jenes Konzerts, das Miles Davis am 11. Oktober 1960 in der Stadt der Liebe gegeben hatte. Es war, wie gesagt, die zweite Europatournee dieses Jahres, bei der Sonny Stitt den mit Miles Davis nicht mehr kompatiblen John Coltrane ersetzt hatte, weil der von Coltrane empfohlene Nachfolger Wayne Shorter bei Art Blakeys Jazz Messengers unabkömmlich war. Es begann mit Walkinʼ, heute wieder schnell, gefolgt von einer sehr schönen Version von Autumn Leaves. Das anschließende Four war gegenüber dem zuvor geörten ein Rückfall in eine frühere Ära, ähnlich wie das unidentifizierte Stück danach, dann aber kam ʼRound About Midnight, Hans Köberlin gefiel, wie Sonny Stitt da und überhaupt spielte, zwar konventionell, aber mit Lust und ohne große Sperenzchen, und auch Wynton Kelly am Klavier. No Blues war dann über eine gute Viertelstunde ein passender Abschluß.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XIII [Sechste Phase ‒ oder: Gift und Geschlechtsverzweiflung] Vom 13. März bis zum 10. April 2014, S. noch offen).

1960-03-24 København [Montag, der 3. Februar 2014]

Gefrühstückt wurde, wie Hans Köberlin gestern beschlossen, mit jenem Konzert, das Miles Davis und John Coltrane am 24. März 1960 in jener Stadt gegeben, in der Lars von Triers Rigshospitalet lag. Man spielte das gleiche Repertoire wie gestern und das Konzert verlief ähnlich, wobei die gleichen Stücke natürlich nicht gleich klangen, und Hans Köberlin gewann nach On Green Dolphin Street den Eindruck, daß Coltrane sich fast in den Sound der Band eingefügt, auch der All Blues lief im Rahmen ab und Hans Köberlin fragte sich, was er da erinnert hatte und ob es noch andere Aufnahmen von der finalen Tour der beiden gab, aber jetzt war das egal.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XI [Erstes Intermezzo – oder: Zäsur] Vom 31. Januar bis zum 9. Februar 2014, S. 1120).

Dienstag, 26. Oktober 2021

1960-03-22 Stockholm 2nd Set [Sonntag, der 2. Februar 2014]

Für das Frühstück suchte Hans Köberlin das zweite Set jenes Konzerts aus, das Miles Davis zusammen mit John Coltrane am 22. März 1960, also immer noch kurz vor Hans Köberlins Geburt, in der Stadt, in der Martin Beck sein Revier gehabt, gegeben hatte. Es begann mit So What, etwas schneller, aber noch moderat, Miles Davis spielte wunderbar, dann begann das Solo von John Coltrane im gleichen Modus, jedoch nur für ein paar Takte, um sich dann, das Solo, zwischendurch immer wieder kurz aufgefangen, auf seinen eigenen Weg zu machen. Es war allerdings trotz seiner unverhältnismäßigen Dauer nicht so extrem, wie Hans Köberlin es in seiner Erinnerung gehabt hatte. Bei Wynton Kellys anschließendem Klavierpart wußte man, daß man die Gefahr des Ausbruchs beim ersten Stück überstanden hatte. Es ging weiter mit On Green Dolphin Street, Miles Davis benutzte einen Dämpfer, dann kam Coltrane, der die Melodie aufnahm, natürlich nicht dabei blieb, aber doch immer wieder darauf zurückgriff. Es war nicht so stimmig wie vor zwei Jahren in Newport, aber auch nicht der Exzeß, für den Hans Köberlin sich bereits gewappnet, was die Frau bemerkt und zu der Frage veranlaßt hatte, warum er so angespannt sei. Nach dem Klavier folgte Paul Chambers’ Solo, das der mit dem Bogen ausführte. Es blieb schließlich noch über gut sechzehn Minuten der All Blues. Der hob im Kind of Blue-Tempo an, Miles Davis zunächst wieder mit Dämpfer, dann aber offen und sehr pointiert auf einem ornamental gemusterten Schlagzeugteppich. Und John Coltrane blieb auch hier im Rahmen, auch wenn man an manchen Stellen merkte, daß er ihn sprengen wollte. Hans Köberlin war etwas irritiert, er hatte mit einem verheerenden Ausbrauch gerechnet. Trog in sein Gedächtnis, war er von seiner einschlägigen Lektüre beeinflußt oder lag es an dieser besonders aufmerksamen Art des Hörens? Ein Konzert in der Stadt, in der Lars von Triers Rigshospitalet lag, stand von der letzten Tournee der beiden noch aus, und Hans Köberlin beschloß, dies zur weiteren Gedächtnisauffrischung gleich am morgigen Morgen oder Mittag zu hören.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XI [Erstes Intermezzo – oder: Zäsur] Vom 31. Januar bis zum 9. Februar 2014, S. 1113).

Samstag, 2. Oktober 2021