Der Filmkalender präsentierte anläßlich des Geburtstags von Roy Scheider (*1932) ein Still aus der Verfilmung von William S. Burroughs’ Naked Lunch (1991), aber keines, das ihn, Scheider, zeigte, sondern den Robocop Peter Weller. In diesem Fall hätte Hans Köberlin ein Still mit Scheider als Chief Brody aus Spielbergs Jaws (1975) signifikanter gefunden. Aber an diesen Film wollte er aus nachvollziehbaren Gründen (er hatte das Poster »Peces del mar Mediterráneo« seines früher häufig konsultierten Fischladens in der Hauptstadt und den darauf unter den ganzen Eßfischen, die er sich hier im ›Consum‹ oder im ›Mercadona‹ kaufte, auch abgebildeten Carcharodon carcharias vor Augen) nicht zu intensiv denken. Am Dienstag, dem 25. August 2015, sollte er in der Hauptstadt mit der Frau im Kino eine Revision von Jaws vornehmen. Dabei kam er zu der Auffassung, daß Spielberg – so wenig er ihn sonst mochte – mit dem Film gelungen war, innerhalb des Genres, in dem es zuvor mehr oder weniger bloß Trash gegeben hatte, ein klassisches Werk zu schaffen. Und während sie nach dem Kinobesuch mit der Stadtbahn zu der Wohnung der Frau fuhren, da fielen Hans Köberlin lauter Bezüge ein, in deren Mitte sich wie eine Spinne in ihrem Netz Jaws befand: »Die ersten Konstellationen dieser Art – Mensch versus Tier oder Monster – gab es bereits in der Antike: Theseus und Herakles und ihre Kämpfe (der Minotauros, der Kerberos), dann die ganzen Drachentöter … Variationen: Mensch versus Alien (Alien, 1979) und Mensch versus Mensch (Cape Fear, 1962 und 1991), Hitchcocks Birds (1963) fiel heraus, weil da die rationale Erklärung verweigert wurde … aber Moby Dick, die Analogie Ahab – Quint lag auf der Hand … King Kong und Godzilla müßten verortet werden … dann Katastrophenfilme als andere Variation, das Motiv der Schicksalsgemeinschaft …«
Die weiteren Geburtstage dieses Tages waren Richard Burton (*1925), Ennio Morricone (*1928) – Hans Köberlin mochte dessen Musik (The Ballad of Hank McCain aus Gli intoccabili und Le clan des Siciliens hatten wir ja bereits erwähnt), vor allem wenn sie von John Zorn interpretiert wurde, und mit Chi Mai hatte Hans Köberlin einmal eine Frau rumbekommen –: »Mille grazie, Ennio!« – und François Périer (*1919), weshalb das Vorjahresblatt Stéphane Audran in Chabrols Juste avant la nuit (1971) zeigte, wie sie ihrem Mann das Laudanum verabreichte.
Weil dies der vorerst letzte Film von Chabrol war, der aus Hans Köberlins Filmkalenderblattsammelkiste anstand, wollen wir hier zu seinem größten Flopp Seeßlen zitieren: »Mit Quiet Days in Clichy (1990) trug auch Claude Chabrol etwas zu dem Spät-Boom des Genres (Softporno) bei (das man unter dem Motto zusammenfassen könnte: Ältere Herren drehen Filme über die Sehnsucht nach jungen Frauen und inszenieren vor allem ihre Ängste). Die Henry Miller-Variation, die Dietrich Kuhlbrodt den ›allerpeinlichsten Film von Chabrol‹ nannte, zeigt in einer Rückschau des greisen Schriftstellers Szenen aus dem Paris der 30er Jahre und reiht einige seiner erotischen Abenteuer aneinander. Der Schriftsteller Joey (Andrew McCarthy), der eigentlich nach Paris kam, um einen Roman zu schreiben, wird von seinem Verleger (Mario Adorf) in Bars und Bordelle geschleppt und fühlt sich dabei immer wohler. Der Film beginnt mit einem Todesbild; der greise Schriftsteller Joey sieht aus dem Fenster: dunkel gekleidete Gestalten sind da zu sehen, Todesvögel, ein junges nacktes Mädchen führt ihn dann zu einer langen Erinnerung an sein Leben in den dreißiger Jahren. Ein Abschiedstraum. Decken wir den Mantel des Mitleids über ihn.« (Erotik. Ästhetik des erotischen Films, Marburg 3. Auflage 1996, S. 145). Auch Hans Köberlin fand, daß der Film ein großes Ärgernis war, aber für ihn war mit einem Plakat geworben worden, das den Anbeter weiblicher unrasierter und rasierter Achselhöhlen (eine Leidenschaft, die er mit Raymond Queneau – man erinnere sich an dessen Schilderung in On est toujours trop bon avec les femmes, wie der arschigste der Osteraufständler, Larry O’Rourke, die an einen Stuhl gefesselte und während einer Schießerei mit den Angelsachsen umgekippte Gertie Girdle aufhob: er faßte sie unter die Arme und stellte das ganze wieder auf seine sechs Beine, und einen Augenblick ließ er seine Hände unter ihren Achselhöhlen, die warm und feucht waren, um anschließend mit ihnen, mit den Händen, als ob nichts wäre unter der Nase vorbeizufahren und blaß zu werden (vgl. Man ist immer zu gut zu den Frauen, Frankfurt am Main 1985, S. 54f.), – und mit Arno Schmidt – »Haarsträußchen id Achselhöhlen vorm Schoß« beschrieb er Ann’Ev’ (Abend mit Goldrand. Eine MärchenPosse. 55 Bilder aus der Lä/Endlichkeit für Gönner der VerschreibKunst, Frankfurt am Main 1975, S. 18) – teilte; und er nötigte die Frau, wann immer er konnte, kein Deodorant zu verwenden: »Don Giovanni singt, er rieche Frauenfleisch, nicht Deodorant!«) faszinierte: man sah den nackten Oberkörper von Barbara de Rossi von der Seite, den rechten Arm hielt sie hochgestreckt, in der Linken ein ausgeklapptes Rasiermesser und in der rechten rasierten Achselhöhle befanden sich noch Reste von Rasierschaum …
Das dritte zu diesem Tag vorhandene Kalenderblatt zeigte schließlich ein Still aus dem von Hans Köberlin nicht gekannten Film Lamerica (Gianni Amelio, 1994).
(eine Fußnote aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VI [Phase II – oder: post Telos], 3. bis 14. November 2013).