Der nächste Referent stand bereits am Rednerpult, das er ohne Hilfe des Busenfreundes fachkundig in die seiner Größe angemessene Höhe gekurbelt hatte. Er legte eine CD in den Laptop, wollte anheben, sah den Verleger mit dem Tablett und wartete, bis der an seinem Platz angekommen war, seine Nachbarn ihn von der Last befreit hatten und er sich hinsetzen konnte. Die drei duckten sich weg und machten sich unauffällig an den Verzehr ihrer Brezeln.
Der Mann klopfte Toc, Toc, Toc auf das Mikrophon, räusperte sich dann und nannte seinen Namen, sagte, daß er Hans Köberlin von dessen einundzwanzigstem Lebensjahr an gekannt und mit ihm eine Weile in einer Kommune gelebt habe, und daß er hier nun über Hans Köberlins Verhältnis zur Musik und seine diesbezüglichen Neigungen referieren wolle. Um es gleich vorweg zu sagen: Hans Köberlin sei zeitlebens nur ein Rezipient von Musik gewesen, wenn auch ein elaborierter, von Musik als der sinnlichsten aller Künste, gemäß dem von Hanns Zischler überlieferten Wort Godards, Musik drücke nicht die Seele, sondern den Körper einer Frau aus; Köberlin sei jedoch, was das Machen von Musik betraf, vollkommen untalentiert gewesen und habe keine Noten lesen können, und die zwei oder drei Dinge, die es da gab und die, wie er gehört habe, im Rahmen der Werkausgabe auf der Daten-DVD erscheinen würden, das seien reine Kuriosa, musikalisch völlig nichtssagend. Er wolle deswegen hier bloß einen dieser musikalischen Versuche anführen, nämlich jenen mit
Swallow Songs betitelten, bei dem sich Köberlin sehr stark – und sehr stark wäre noch untertrieben – an John Cage orientiert habe.
An einem lauen Sommerabend beim Weizenbier an einem See im Osten (aber von hier aus im Nordwesten) sitzend habe Köberlin relativ gedankenlos, wie er ausdrücklich in einem Brief an ihn vermerkt habe, auf das Dach eines Bauernhofes, unter dessen Traufe viele Schwalben nisteten, geschaut. Auf dem Dach habe es eine Fernsehantenne mit fünf Querstreben gegeben, auf denen die Schwalben zwischen ihren abendlichen Fliegenjagden gesessen hätten, aber nicht still, es habe ein ständiges Hin und Her und Kommen und Gehen gegeben, und irgendwann habe Köberlin damit begonnen, die Positionen der Schwalben auf den Querstreben der Fernsehantenne auf eine Serviette zu notieren. Herausgekommen sei dabei folgendes … Er hantierte eine Weile an dem Laptop herum … Da Köberlin, wie gesagt, keine Noten … er hantierte … die spielbare Notation stamme von ihm … er hantierte weiter und an der Stelle der vermutlich letzten Photographie Hans Köberlins, gemacht vermutlich von seiner unbekannten Reisebegleiterin, erschien … So …
Das, so der Referent, höre sich etwa so an … Und man hörte eine Aufnahme, bei der jemand – vemutlich der Referent – das auf einem Klavier gespielt hatte, was einer, der Noten lesen konnte, bereits in seiner Vorstellung (dabei den Kopf schüttelnd) gehört haben mochte. Aha … kurios, sehr kurios!
(aus:
… du rissest dich denn ein., Berlin 2010, S. 474ff.; siehe →
#2).