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Nach dem Frühstück machten sie einen kleinen Spaziergang. Spree und Dahme waren zugefroren und schneebedeckt. Hans Köberlin kannte den Bezirk bloß aus den Sommermonaten und sah nun wegen der laublosen Bäume und der Schneeflächen manches anders. Es war so um den Gefrierpunkt und man hatte den Eindruck, daß es bald tauen würde. Hans Köberlin hatte gehofft, einen Ausflug mit dem Fahrrad machen zu können, aber dafür war es ihm nun doch zu kalt. Er erinnerte sich, wie ein Physiklehrer seiner Kindheit die sogenannte Anomalie des Wassers teleologisch erklärt hatte: gäbe es sie nicht, hätte das Wasser seine größte Dichte nicht bei +4 °C, würde es also bei abnehmender Temperatur immer dichter und ergo schwerer, dann sänke das Eis an den Boden der Gewässer, taute dort nicht, sondern kumuliere zu einem ewigen Frost, der alles Wasser und schließlich die Erde gefrieren ließe und alles Leben unmöglich mache: also gebe es die Anomalie des Wassers, damit es Leben geben könne … Und dazu, zu dem Physiklehrer, der der Lehre seines Leibnizʼ geglaubt und der, nur nebenbei bemerkt, eine äußerst entzückende Tochter gehabt, mit der Hans Köberlin ein paarmal im Kino gewesen – unter anderem in Fassbinders Despair (1978) und Wolf Gremms Die Brüder (1977) – und bei der er (Hans Köberlin der Trottel!) nie zu landen versucht hatte, dazu also fiel Hans Köberlin die Frostarie des Cold Genius aus Purcells King Arthur ein …*
* Populär geworden dadurch, daß RTL während der Anfänge des hiesigen Privatfernsehens sie in der Interpretation von Klaus Nomi zum Sendeschluß (man erinnere sich, daß es solches einst gegeben) gespielt hatte …
What power art thou, who from below(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel XI [Erstes Intermezzo – oder: Zäsur], 31. Januar bis 9. Februar 2014).
Hast made me rise unwillingly and slow
From beds of everlasting snow?
Seeʼst thou not how stiff and wondrous old,
Far unfit to bear the bitter cold,
I can scarcely move or draw my breath?
Let me, let me freeze again to death.