Sonntag, 31. Oktober 2021

1960-10-13 (oder 10?) Stockholm 1st Concert [Montag, der 24. März 2014]

Es war ein kommoder trockener Tag mit Sonnenschein und blauem Himmel, aber immer noch zu windig, um den Vormittag draußen verbringen zu können. Heute war zum Frühstück das Hören der beiden Sets des ersten Konzerts, das Miles Davis am 10. oder 13. Oktober 1960* in der Stadt, in der Kommissar Beck gewirkt, gegeben hatte, vorgesehen. Es begann mit Walkinʼ im gewohnten Tempo, der etwas träge Hans Köberlin ließ sich mittreiben, erst von der Trompete, dann vom Saxophon, dann vom Klavier, dann vom Baß – mit Bogen –, dann nahm Miles Davis das Thema wieder auf. Es folgte sehr balladenhaft Autumn Leaves, die langsamen Stücke dieser Zeit gefielen Hans Köberlin zweifellos besser, die Soli gab es in der gleichen Abfolge wie zuvor. Weiter ging es mit So What, wieder eher schnell, aber dennoch eine schöne Interpretation, vor allem das Klavier ließ Hans Köberlin aufhorchen. Als letztes Stück des ersten Sets folgte ʼRound Midnight mit einer etwas befremdlichen Rumba-Einlage. Das zweite Set begann mit zwei Stücken, die Hans Köberlin nicht einordnen konnte, nämlich June Night und Stardust. Bei dem ersten Stück war das nicht verwunderlich, es spielte bloß die Rhythmusgruppe, eine Recherche im weltweiten Netz sollte ergeben, daß es sich um einen 1924 publizierten Song handelte, den Wynton Kelly desöfteren gecovert hatte. Hier bekam auch der Drummer sein erstes Solo. Ähnlich verhielt es sich mit Stardust, einem Song von 1927, bei dem Sonny Stitt seinen großen Auftritt hatte. Hans Köberlin versuchte, sich in die Zuhörer zu versetzen: man war wegen Miles Davis gekommen und hatte wohl auch einen entsprechenden Obolus entrichtet, und der ließ sich eine gute Viertelstunde nicht blicken … Bei On Green Dolphin Street war er dann wieder dabei, mit Dämpfer, und zu Hans Köberlins Freude blieb man beim anschließenden All Blues im Tempo von A Kind of Blue, es war eine äußerst bemerkenswerte Interpretation … also alles in allem ein ruhiges zweites Set. Das Konzert insgesamt war in Hans Köberlins eines der schönsten aus der Zeit, er hatte aber das Gefühl, es nicht angemessen goutieren zu können. Angesichts Sonny Stitts balladenhaftem Saxophonspiel fragte er sich, warum er es nicht in einem ästhetischen Rückfall genauso goutieren konnte, wie er die naturalistischen und realistischen Darstellungen nackter Frauen aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert goutierte …** Es spielten halt andere Dinge mit … Es gab auch jene sonst überhörten Stücke, die durch ihren expliziten Einsatz in einem Soundtrack eine ganz neue Bedeutung bekamen … Umgekehrt vergällte einem die Werbung das Hören von mach zeitlos gutem Song …

* Auf der von Hans Köberlin archivierten digitalen Ausgabe war der 10. Oktober 1960 angegeben, in den Discographien der Autobiographie (Miles Davis und Quincy Troupe, Die Autobiographie, München, 4. Auflage 2000, S. 586), der von Ian Carr (Miles Davis. Eine kritische Biographie, Baden 1985, S. 307) und der im weltweiten Netz jedoch der 13. Oktober 1960, Miles selber hatte in der Autobiographie gesagt: »Über Schweden und Paris ging es dann weiter in die Staaten, wo wir die Tour beendeten« (ebd., S. 337), was wegen der Reihenfolge wiederum für den 10. Oktober 1960 sprechen würde.
** Wir hatten ja bereits häufiger erwähnt, daß sich Hans Köberlin – wie auch Clemens Limbularius – bei der bildenden Kunst sujetabhängig nicht state oft he art bewegte, sondern in einen Realismus oder sogar einen Naturalismus zurückfiel (siehe z. B. die Fußnote 3378 auf S. 1252f.,S. 1258f. und die Fußnote 3720 auf S. 1392 mit der dazugehörigen Abbildung auf der Folgeseite). Damit stand er nicht allein, wie diese Anmerkung Michael Koetzles zu den Anfängen der Kunstphotographie in dem Bildband 1000 Nudes belegte: »Tatsächlich dürfte das Gros der meist von pariser Spezialverlagen edierten Mappen mit entsprechenden Studioposen weniger akademischen als erotischen Interessen entgegengekommen sein. Nur so erkärt sich auch der bis weit ins 20. Jahrhundert hinein anhaltende Bedarf an ›Künstlerakt-Lichtbildern‹, nachdem die eigentliche ›Akademie‹ im Zuge von Impressionismus, Expressionismus sowie einer sich anbahnenden Abkehr vom Gegenständlichen ihre Bedeutung verloren hatte.« (Uwe Scheid Collection, 1000 Nudes. A History of Erotic Photography from 1839-1939, Köln 2005, S. 103).

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XIII [Sechste Phase ‒ oder: Gift und Geschlechtsverzweiflung] Vom 13. März bis zum 10. April 2014, S. noch offen).

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