Dienstag, 1. August 2023

1970-08-29 Isle of Wight [Freitag, der 7. März 2014]

Also: aufstehen und nur mit dem Kimono bekleidet im leeren Wintergarten frühstücken, wie gestern vorgenommen mit jenem Konzert, das Miles Davis am Samstag, dem 29. August 1970, während des Festivals auf der Isle of Wight nach einem Hans Köberlin nicht bekannten Tiny Tim und vor Ten Years After – später sollten an dem Tag noch hintereinander Emerson, Lake & Palmer mit Pictures at an Exhibition, The Doors und The Who mit der kompletten Tommy-Oper auftreten – gegeben hatte. Hans Köberlin hatte das Konzert für diesen Aufbruchstag gewählt, weil es nur gut über eine halbe Stunde ging. Es war von den Stücken des Sets her ein für diese Zeit typisches Konzert, Directions, Bitches Brew, It’s About That Time, Sanctuary, diesmal nur ganz kurz, und Spanish Key. Zuerst horchte Hans Köberlin wegen Dave Hollands E-Baß auf, dann wegen Keith Jarretts Orgel bei Bitches Brew … aber wie bei den meisten Live-Interpretationen kam auch hier der Moment, wo das Stück ein wenig zerfiel. Dann wieder der E-Baß … Es groovte sehr angenehm bis zum Schluß, Miles Davis war einmal wieder das Gravitationsfeld, das dies alles möglich machte … aber Hans Köberlin war, wie schon gesagt, mit den Gedanken bereits woanders […] Während des Duschens mußte er nochmals an Miles Davis denken, und zwar im Kontext der vorherigen Lektüre in Schultz’ Buch über die Gnosis. Miles Davis war, soweit er wußte, stets von jeglichem spirituellen Kram unbeleckt geblieben, im Gegensatz zu den meisten Musikern um ihn herum in der Zeit, das Ehepaar Coltrane zum Beispiel, bei denen die hohe Qualität ihrer Musik – auch später bis zu einem gewissen Punkt die Musik von Alice Coltrane allein – in einem eklatanten Gegensatz zu den Titeln stand, den sie ihren Stücken – und sich selber! – gaben, oder John McLaughlin oder Santana, deren gemeinsames Coltrane-Album Love ꞏ Devotion ꞏ Surrender trotz des Titels und trotz des Gurus auf der Rückseite des Covers von Hans Köberlin sehr geschätzt wurde. Miles Davis war stets westlich urban modern geblieben, und wenn er außermusikalische Bezüge hergestellt, dann keine spirituellen, sondern, wie bei Jack Johnson, politische zu Afrika und zu der Diskriminierung, die die Menschen, die dort ihre Wurzeln hatten, durch die WASPs erfuhren. »Aber«, so schloß Hans Köberlin dieses Thema ab, »was solls, ich höre ja auch die Messen und Kantaten von Bach …«

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XIII [Zweites Intermezzo – oder: Die Hälfte der Zeit] Vom 7. bis zum 12. März 2014, S. 1466f.).

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