Es war bereits nach Mittag, als Hans Köberlin aufstand, um das Frühstück zuzubereiten und die Frau unter die Dusche stieg. Wenn Hans Köberlin das richtig im Blick hatte, was er nicht hatte, dann hatte er in seinem Archiv nur noch fünf wirkliche Konzertmitschnitte für sein Ritual über, dann kämen die Kompilationen diverser Auftritte und Teo Maceros aus den Cellar Door- und den Jack Johnson-Sessions zusammenmontiertes Phantasiekonzert LivE EviL. Alle die fünf Konzerte waren mit ähnlichen Sets aus der Zeit von Bitches Brew und Jack Johnson. Er entschied sich für ein Konzert, das Miles Davis am 22. Oktober 1971 im Rahmen einer Europatournee des Newport-Festivals im eidgenössischen Dietikon gegeben hatte. Es waren, wie gesagt, die üblichen Stücke mit Directions zum Auftakt, Hans Köberlin war einmal wieder erstaunt, daß Miles Davis dem so oft gespielten Stück stets neue Aspekte abgewinnen konnte, auch er stieg also niemals in den gleichen Fluß. Im Gegensatz zu dem Konzert gestern kam hier wieder der Baß seinen nötigen Spielraum, was dann wohl so bleiben würde. Übergangslos ging es dann mit What I Say weiter und Hans Köberlin bemühte sich, das entspannte bewußte Hören mit der Konversation mit der Frau unter einen Hut zu bringen. Bei dem Stück störte ihn, daß der schöne Groove durch ein Perkussionssolo abgewürgt wurde. Das Solo leitete nach ein paar Takten den vorherigen Themas über zu Sanctuary, eine seltsame Dramaturgie, wie Hans Köberlin fand. Auch das daran anschließende Itʼs About That Time wurde neu und sehr ansprechend interpretiert, vor allem mit Baß und E-Piano. Es folgte in einer knapp zwölfminütigen Version Bitches Brew, angenehm sehr langsam und quasi sortiert, aber mit einem abrupten Ende, denn plötzlich war man bei Funky Tonk, das sehr verhalten mit ein paar wunderschönen kristallenen Akkorden auf dem E-Piano, von der Stimmung fast wie I Love Him Madly, begann ‒ entweder war das Publikum sehr verständig gewesen, oder man hatte es herausfiltern können ‒, und plötzlich ‒ Hans Köberlin merkte, daß er dieses Konzert lange nicht mehr gehört hatte ‒ war es dann nicht mehr Funky Tonk, sondern Inamorata in einer sehr schönen langsamen Version ohne das Pathos der Cellar Door-Sessions. Zum Schluß kamen dann nochmals ein paar Takte Sanctuary mit dem Beifall des Publikums.
(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XIII [Zweites Intermezzo – oder: Die Hälfte der Zeit] Vom 7. bis zum 12. März 2014, S. 1505f.).
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