Zum Frühstück dann hörte Hans Köberlin, nun wieder turnusgemäß, das zweite Set jenes Konzerts, das Miles Davis am 19. Dezember 1970 in ›The Cellar Door‹‐Club, 34th and M Street NW in Washington, D. C., gegeben hatte und bei dem John McLaughlin wieder als Gastmusiker dabeigewesen war. Es begann, wie auch die anderen Sets, mit Directions, bei dem diesmal Jack DeJohnette eine etwas längere Vorgabe hatte, Miles Davis mit der elektrisch verzerrten Trompete den Orgasmus des Themas lange hinauszögernd, dafür dann aber lange zelebrierend, dann ein schönes Saxophon-Solo über der Rhythmus-Gruppe, dann McLaughlin und Jarrett, bei denen das Stück mehr oder weniger – das Thema wurde nochmals kurz aufgegriffen und Inamorata bereits angedeutet – zerfiel und in Jarretts Improvisation auf dem E-Piano überging, bei der sich Hans Köberlin gut vorstellen konnte, daß ein Soloalbum Jarretts auf dem E-Piano sicher einen größeren Reiz gehabt hätte, als die manchmal doch etwas zu sphärischen Studioalben und Live-Mitschnitte – am bekanntesten wohl der aus der Domstadt vom 24. Januar 1975 – auf dem Konzertflügel.* Dann kam endlich Inamorata, das diesmal allerdings nicht so groovte, weil der Baß nicht so zur Geltung kam, und eher unspektakulär in Sanctuary überging. Sehr schön war es dennoch. Das Konzert – und damit die Reihe der sechs dokumentierten Sets in ›The Cellar Door‹Club – endete, oder besser: klang aus oder verklang passend mit einer äußerst gelungenen abstrakt-minimalistischen Interpretation von It’s About That Time. Hans Köberlin räumte die Frühstücksutensilien weg und ging unter die Dusche.
* Der Satiriker Wiglaf Droste hatte in einer Polemik über das Konzert gereimt …
Schwarze Tasten, weiße Tasten
Töne, die das Herz belasten
Hände, die nicht ruhn noch rasten
Hasten über Tasten, Tasten
Junge Menschen wurden Greise
Wenn Keith Jarrett klimperte
Auf dem Flokati litt ganz leise
Wer vorher fröhlich pimperte
… und es damit auf den Punkt gebracht, seine Bezeichnung »kunstgewerblerisch« traf zu, und wenn man The Köln Concert mit dem verglich, was Miles Davis damals zeitgleich im Reich der aufgehenden Sonne gemacht hatte, dann hatte man den Wandel, der sich damals vollzog vor Augen beziehungsweise in den Ohren. Der Handke-Leser Hans Köberlin war Mitte der siebziger Jahre nicht frei von diesen Anfechtungen gewesen, hatte aber neben Handke auch Bukowski verschlungen.
(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XIII [Zweites Intermezzo – oder: Die Hälfte der Zeit] Vom 7. bis zum 12. März 2014, S. 1498f.).
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