Zum Frühstück hörte Hans Köberlin jenes Konzert, das Miles Davis am 7. November 1967 in der Stadthalle jener Stadt, in der Peter Sloterdijk nun seine Wirkungsstätte hatte, gegeben, er hörte es nicht nur, er sah es auch, denn es war einer der Konzertfilme, die er in seinem Archiv hatte. Alle trugen schwarze Anzüge über weißen Hemden mit Fliege, nur Miles Davis trug einen graugestreiften Anzug über einem gestreiften Hemd mit einer Krawatte. Es begann wie meist in jener Zeit mit Agitation und Hans Köberlin ertappte sich dabei, daß er mehr schaute denn hörte. Die Musiker taten so, als kümmerten sie sich nicht darum, was die anderen machten, aber es herrschte eine subtile Kommunikation. Das Publikum sah man zum ersten Mal im Hintergrund, als die Kamera Herbie Hancock bei seinem Solo – »C. Bechstein« konnte man lesen – filmte. Der Saal war natürlich bestuhlt und alle saßen ruhig da und lauschten, was Hans Köberlin gefiel, keine Sperenzchen … Es folgte Footprints, da war die Bühne plötzlich schwarz und Miles Davis stand in einem Spot, das Licht ging dann für Wayne Shorter wieder an und Hans Köberlin hatte einmal mehr das Gefühl, dem Ritual beizuwohnen, aus dem der Jazz damals bestand, und daß es interessant wäre, die verschiedenen Interpretationen eines Stückes unmittelbar zu vergleichen, sozusagen um die ›Tagesform‹ bestimmen zu können. Es folgte I Fall In Love Too Easily, man sah Miles Davis’ Armbanduhr, sicher ein teures Teil, das Stück begann ruhig, um dann in einen schönen Swing zu fallen, aus dem man aber gleich wieder ausbrach, es gab noch ein längeres Solo von Herbie Hancock mit Zwischenapplaus. Dann kam als letztes Stück Gingerbread Boy, was nicht zu Hans Köberlins Favoriten gehörte und hier als Gegenstück zu Agitation das Konzert schloß. Falls das Publikum nach einer Zugabe verlangt, hatte man das gnädig ausgeblendet. Morgen zum Frühstück vor dem Gang zur Omnibusstation würde es dann Miles Davis’ Auftritt auf der Isle of Wight geben.
(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XII [Fünfte Phase – oder: Un gringo en Calpe] Vom 10. Februar bis zum 6. März 2014, S. 1441f.).
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