Zum Frühstück hörte er das zweite Set jenes Konzerts, daß Miles Davis am 23. Dezember 1965 in der für ihre Schlachthöfe berüchtigten Stadt gegeben hatte. Es begann schön langsam mit All of You, Miles Davis spielte mit Dämpfer und gab das Spiel nach viereinhalb Minuten an Wayne Shorter weiter. Hans Köberlin mußte sich bemühen, bei der Musik zu bleiben und seine Aufmerksamkeit nicht zu arg schweifen zu lassen, er merkte das, als er sich plötzlich in Gedanken bereits bei gleich zu schreibenden Aufzeichnungen im ersten Drittel von Agitation wiederfand … also zurück zu Wayne Shorter im vorherigen Stück, das dann von Miles Davis zum Ausklang geführt wurde. Agitation war natürlich ein schnelles Stück, aber diesmal nicht zu schnell, Miles Davis spielte hier ohne Dämpfer, was Hans Köberlin bei den älteren Sachen bevorzugte. Dann zog es, getrieben vom Schlagzeug, an, was aber durch Herbie Hancocks Klavierspiel konterkariert wurde, auch beim anschließenden Saxophonsolo, bei dem der Baß quasi das Schlagzeug an die Leine nahm, es wurde freier, dann übernahm das Klavier, blieb im Freien, um am Ende die Melodie wieder aufzugreifen und an Miles Davis abzugeben, der das Stück schloß und überleitete zu My Funny Valentine, das langsam akzentuiert begann und dann von Rhythmusgruppe in einen Swing gezogen wurde, über dem Miles Davis weiter seine Akzente setzte und Hans Köberlin mußte an die Bedienung gestern im ›Dolphin Pub‹ denken, dann brachte Wayne Shorter den Swing zum Stoppen, bevor er über der Melodie, die fast zum Stillstand kam, improvisierte, bis Herbie Hancock sein Solo bekam. Dann kam, wieder mit Dämpfer, On Green Dolphin Street, und erneut hatte Hans Köberlin einen Einsichten gewährenden Ausschnitt vor Augen, dieses Set gefiel Hans Köberlin jetzt, nach den bisher im Verlauf seines Rituals fünf gehörten, am besten von den sieben dieser beiden Konzertnachmittage und -abende, aber nicht bloß deswegen, wegen der Erinnerung an gewährte Einblicke auf Ausblicke, an seinem Gefallen änderte auch das für Hans Köberlins viel zu schnell gespielte So What nichts. Es kam, wie in der Zeit üblich, wobei eigentlich auch schon da überholt, noch das sogenannte Thema, bei dem Miles Davis und Wayne Shorter was das Tempo betraf um die Wette spielten.
(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XII [Fünfte Phase – oder: Un gringo en Calpe] Vom 10. Februar bis zum 6. März 2014, S. 1232f.).
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