Donnerstag, 2. September 2021

1957-11-30 Paris [Freitag, der 21. März 2014]

Zum Frühstück dann, der Witterungsumstände halber wieder im leeren Wintergarten – die Dachterrasse vor ein paar Tagen, war wohl die eine Schwalbe gewesen, die noch keinen Sommer gemacht, hörte er also wie vorgenommen den Mittschnitt jenes Konzerts, das Miles Davis am 30. November 1957 in der Stadt der Liebe gegeben hatte. Und das Ritual wollte kein Ende nehmen, denn in das digitale Archiv dieses Mitschnitts war ein Mitschnitt von einem Konzert – oder mehreren Konzerten? – geraten, die Miles Davis im Juli 1986 im Jardin des Arênes de Cimiez in jener Stadt, über deren Dächern Hitchcock 1955 einen Film mit Grace Kelly und Cary Grant gedreht,* gegeben hatte, veröffentlicht zunächst als Bonus zu Tutu und dann im kommenden Jahr in einer Box mit allen Alben der Jahre ‒ Miles Davis letzte Jahre ‒ bei den Gebrüdern Warner. Das Ende des Rituals zog sich also, wie gesagt, weiter hinaus, was sich bis jetzt noch aufgefunden hatte, war allerdings in Miles Davisʼ musikalischer Vita zu früh oder zu spät, um Hans Köberlin wirklich zu begeistern. ‒ Aber zurück in die Stadt der Liebe. Das Konzert, das in der Hinsicht bemerkenswert war, weil Miles Davis hier mit dem Rene Urtreger Trio spielte, mit dem er in der Folge den Soundtrack zu Malles Ascenseur Pour Lʼechafaud (1958) einspielen sollte,** und zu Hans Köberlins angenehmer Überraschung begann es auch in diesem Stil, ohne natürlich die Dramatik der Filmmusik zu haben. Hans Köberlin, etwas müde heute, ließ sich treiben, bis Bagsʼ Groove mit seinem markanten Intro kam. Anschließend gab es noch, gleichfalls beachtungsheischend, ʼRound Midnight, Nowʼs the Time und Walkinʼ.
»Doch, ganz schön, das Ganze.«
Und wie bei Bande à part (1964) vor drei Tagen dachte er, er hätte eine Dekade früher in der Stadt der Liebe, als sie noch in Schwarzweiß gewesen, geboren werden sollen.

* Wir zitieren aus Hans Köberlins Arbeitsjournal vom Sonntag, dem 7. April 2019: »Am Sonntag, dem 14. Februar 2010, schrieb ich, damals noch im Wahn oder zumindest in der Illusion: ›Hitchcock hatte den Film gegenüber Truffaut als ›eine leichte Geschichte‹ bezeichnet. Das war es auch, und ich hatte ihn etwas flotter in Erinnerung gehabt. Grace Kelly kam wirklich recht gut ins Bild. Über sie hatte Hitchcock gesagt: ›Weshalb ich immer wieder auf die mondän reservierten blonden Schauspielerinnen zurückkomme? Ich brauche Damen, wirkliche Damen, die dann im Schlafzimmer zu Nutten werden.‹ Hitchcock hatte einige wirklich schöne Anzüglichkeiten an der Zensur vorbeigebracht.‹«
** Bei einer Recherche im weltweiten Netz, irgendwann in den folgenden Tagen während eines Nachmittags in der ›Tango Bar‹, stellte Hans Köberlin fest, daß in der gleichen Besetzung auch das ein paar Tage zuvor gehörte Konzert vom 8. Dezember 1957 in der Stadt, der Kais Jacques Brel besungen, gegeben worden war. Und auch diesmal gefiel ihm Barney Wilen am Saxophon.

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XIII [Sechste Phase ‒ oder: Gift und Geschlechtsverzweiflung] Vom 13. März bis zum 10. April 2014, S. noch offen).

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