Samstag, 2. März 2024

Fürdő nő (Károly Lotz, 1901)

La Fontaines La Laitière et le pot au lait … ein paar tagtraumanregende Verse trotz des schnöden Mammons, dem sie in ihrem Tagtraum nachjagte …
Perrette sur sa teste ayant un Pot au lait
Bien posé sur un coussinet,
Pretendoit arriver sans encombre à la ville.
Legere & court vestuë elle alloit à grands pas;
Ayant mis ce jour-là pour estre plus agile
Cotillon simple, & souliers plats.
Nostre Laitiere ainsi troussée
Comptoit déja dans sa pensée …
Man sah sie quasi vor sich, la jeune fille … Später dann sollte Hans Köberlin beim Lesen eines Eintrags von Edmond de Goncourt in nur noch seinem (denn der Bruder war bereits seit fast zwei Jahren tot) Journal, getätigt am Freitag, dem 13. Februar 1874, folgendes, das ihn an sein, Hans Köberlins, Milchmädchen und dessen (ihm nicht bekannten [es handelte sich um Károly Lotz (1833-1904), dessen Bild aus dem Jahre 1901 eigentlich auch Fürdõzõ nõ und nicht Tej lány hieß, Anmerk. des Verf.]) Maler erinnerte (aber wir greifen hier vor; zu diesem Milchmädchen, der Auslöserin dieses längeren Teils dieser Fußnote, siehe unten S. 292 und dort die Fußnote 1062 sowie die bereits in der Fußnote 888 auf S. 231 erwähnte Abbildung unten S. _ _ _ _), lesen: »Hier, j’ai passé mon après-midi dans l’atelier d’un peintre, nommé Degas. Après beaucoup de tentatives, d’essais, de pointes poussées dans tous les sens, il s’est énamouré du moderne, et dans le moderne, il a jeté son dévolu sur les blanchisseuses et les danseuses. Je ne puis trouver son choix mauvais […] En effet, c’est le rose de la chair, dans le blanc du linge, dans le brouillard laiteux de la gaze: le plus charmant prétexte aux colorations blondes et tendres. Et Degas nous met sous les yeux des blanchisseuses, des blanchisseuses, tout en parlant leur langue, et nous expliquant techniquement le coup de fer appuyé, le coup de fer circulaire, etc., etc. Défilent ensuite les danseuses. C’est le foyer de la danse, où sur le jour d’une fenêtre, se silhouettent fantastiquement des jambes de danseuses, descendant un petit escalier, avec l’éclatante tache de rouge d’un tartan au milieu de tous ces blancs nuages ballonnants, avec le repoussoir canaille d’un maître de ballets ridicule. Et l’on a devant soi, surpris sur la nature, le gracieux tortillage des mouvements et des gestes de ces petites filles-singes.« Und wo er, Hans Köberlin, schon beim Erinnern war, da fiel ihm noch ein von Ror Wolf beschriebenes Bild ein: »In einer der Türöffnungen, im gemaserten Braun des Rahmens, stand eine blasse wie aus einem lehmigen Schlaf aufgetauchte junge Frau, oder sie stand so als hätte sie sich aus einem vielleicht gallertartigen Stoff befreit, oder aus einer ungeheuren Umarmung, die ihre Spuren auf den wunden zerbissenen aufgeschwollenen Lippen zurückgelassen hatte, mit lang herabhängendem Haar, aufgähnend, irgend etwas Unsichtbares vom Körper abstreifend, sie stand in einem raschelnden spitzenbesetzten schleierartigen Bekleidungsstück, unter dem sich, während sie sich die Augen rieb und etwas ebenfalls Unsichtbares in der Luft zerriß oder beiseite schob, ihre kindlichen noch geradeverlaufenden, also ohne Ausbuchtungen oder Schwellungen verlaufenden, also ohne die eigentlichen weiblichen Brustformen und Hüftformen verlaufenden Körperlinien abzeichneten, das dunkle gleichschenklige Haardreieck an ihrem Leib, ihre großen scheibenförmigen Brustwarzenhöfe, ihre Rippen unter der Haut wie eine Schraffierung, sie verdrehte sich zu einer armeaufreckenden Pose und zeigte sich in halber Drehung einen Augenblick von der Rückseite, ich sah ihre matten oder vielmehr eigentlich schimmernden Hinterbacken, das Herabrutschen eines Trägers über eine magere Schulter bei dieser Bewegung, einen Augenblick danach, nach der Beendigung ihrer Bewegung trat sie wieder zurück auf kleinen Filzpantoffeln in ein anderes mir unbekanntes Leben, vielleicht mit rüschenbesetzten Federkissen zerwühlten Daunendecken kristallenen bequasteten Toilettengegenständen Parfümzerstäubern rosafarbenen Puderwölkchen seidenen Wäschestücken verschwebenden Frauengerüchen …« (Fortsetzung des Berichts, München 2011, S. 20f.). Egon Schiele fiel Hans Köberlin da, bei dieser Beschreibung der Mageren, ein (sein Milchmädchen dagegen war eher etwas (aber nicht zu) üppig, stand aber gleichfalls leicht »verdreht zu einer armeaufreckenden Pose«), und ihm kam der Gedanke, daß es stilistische Ähnlichkeiten und Entsprechungen gab zwischen der Prosa Ror Wolfs in Fortsetzung des Berichts und der Prosa Claude Simons, allerdings mit dem Unterschied, daß Simon in der Regel konkrete Bilder (Francis Bacon etwa, vgl. vom Verf. … du rissest dich denn ein., a. a. O., S. 495) beschrieb, wohingegen Wolf hier eher typische (falls es nicht doch ein Schiele oder etwas expressionistisches in der Art – die windspieligen weimarer Mädchen – sein sollte …), wie man sie aus dem Fernsehen und der Trivialliteratur kannte: der Epiphanie im Türrahmen mit dem »dunklen gleichschenkligen Haardreieck an ihrem Leib« (man sah es plastisch vor sich …) sollte die Vision eines Mordes aus Eifersucht, wie man ihn aus Kolportagen kannte, folgen … – Als Hans Köberlin dann ein wenig recherchierte – abgesehen von dem Fußballkram war ihm Ror Wolf (bis auf Danke schön. Nichts zu danken. Geschichten, Frankfurt am Main 1969) noch zu entdeckendes Neuland – kam er darauf, daß der nouveau roman über Peter Weiss zu ihm gekommen war, nämlich über Weiss’ Der Schatten des Körpers des Kutschers (»Am Ende steht immer der Schoß, in den man eindringen möchte«, sollte sich Hans Köberlin irgendwann später einmal dazu notieren), und wieder einmal verfluchte er, Hans Köberlin, daß er sich zu keinerlei systematischer Ausbildung hatte durchringen können. »Aber so gibt es bis zum Ende noch etwas zu entdecken …« Wir halten es nach diesem Vorgriff doch für angebracht, Károly Lotz’ Fürdõzõ nõ, deren Original unseres Wissens in der Magyar Nemzeti Galéria hängt, hier bereits abzubilden (siehe auch unten, S. 831ff.).

(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, X [Erste Phase – oder: Altlasten] Vom 13. Oktober bis zum 2. November 2013, S. 237f.).

Keine Kommentare: