Für das Frühstück suchte Hans Köberlin das zweite Set jenes Konzerts aus, das Miles Davis zusammen mit John Coltrane am 22. März 1960, also immer noch kurz vor Hans Köberlins Geburt, in der Stadt, in der Martin Beck sein Revier gehabt, gegeben hatte. Es begann mit So What, etwas schneller, aber noch moderat, Miles Davis spielte wunderbar, dann begann das Solo von John Coltrane im gleichen Modus, jedoch nur für ein paar Takte, um sich dann, das Solo, zwischendurch immer wieder kurz aufgefangen, auf seinen eigenen Weg zu machen. Es war allerdings trotz seiner unverhältnismäßigen Dauer nicht so extrem, wie Hans Köberlin es in seiner Erinnerung gehabt hatte. Bei Wynton Kellys anschließendem Klavierpart wußte man, daß man die Gefahr des Ausbruchs beim ersten Stück überstanden hatte. Es ging weiter mit On Green Dolphin Street, Miles Davis benutzte einen Dämpfer, dann kam Coltrane, der die Melodie aufnahm, natürlich nicht dabei blieb, aber doch immer wieder darauf zurückgriff. Es war nicht so stimmig wie vor zwei Jahren in Newport, aber auch nicht der Exzeß, für den Hans Köberlin sich bereits gewappnet, was die Frau bemerkt und zu der Frage veranlaßt hatte, warum er so angespannt sei. Nach dem Klavier folgte Paul Chambers’ Solo, das der mit dem Bogen ausführte. Es blieb schließlich noch über gut sechzehn Minuten der All Blues. Der hob im Kind of Blue-Tempo an, Miles Davis zunächst wieder mit Dämpfer, dann aber offen und sehr pointiert auf einem ornamental gemusterten Schlagzeugteppich. Und John Coltrane blieb auch hier im Rahmen, auch wenn man an manchen Stellen merkte, daß er ihn sprengen wollte. Hans Köberlin war etwas irritiert, er hatte mit einem verheerenden Ausbrauch gerechnet. Trog in sein Gedächtnis, war er von seiner einschlägigen Lektüre beeinflußt oder lag es an dieser besonders aufmerksamen Art des Hörens? Ein Konzert in der Stadt, in der Lars von Triers Rigshospitalet lag, stand von der letzten Tournee der beiden noch aus, und Hans Köberlin beschloß, dies zur weiteren Gedächtnisauffrischung gleich am morgigen Morgen oder Mittag zu hören.
(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XI [Erstes Intermezzo – oder: Zäsur] Vom 31. Januar bis zum 9. Februar 2014, S. 1113).
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen