Donnerstag, 25. Oktober 2018

San Clemente (der Brunnen im Hof)


Auf Clemens’ Schweigen fuhr er fort, der zweite heilige Clemens habe im ersten Jahrhundert nach gelebt – das nach verstehe sich wohl von selbst, sonst könnte er kein Heiliger sein, warf Clemens ein –, ein Papst, Papst Clemens der Erste wäre er gewesen, und sein Namenstag sei der dreiundzwanzigste November. Im Gegensatz zu ihm, Clemens Limbularius, wäre Papst Clemens auch ein Märtyrer gewesen, und ein Jünger des heiligen Petrus und nach Linus und Anaklet sein dritter Nachfolger als Bischof von Rom. Als Kaiser Trajan die Christen verfolgt habe, sei Clemens zur Fronarbeit auf die Halbinsel Chersones auf der Krim, der ewig krisigen, verbannt worden (sein Spirituosenlager, dachte Clemens). Dort hätten bei seiner Ankunft schon mehr als zweitausend Christen in den Marmorsteinbrüchen gelitten, gequält von unablässigem Durst. P. nahm einen Schluck aus der Wacholderbeerschnapsflasche, bevor er fortfuhr: Clemens sei aber einem Lämmlein, das da wohl herumgelaufen wäre, zwischen den durstigen Christen, zu einem Platz gefolgt und habe da seinen Stab in den Boden gestoßen. Prompt habe sich an der Stelle eine Quelle aufgetan, und alle konnten sich erquicken. Nach einer gewissen Frist habe man Clemens jedoch zum Tode verurteilt. Man habe ihm eine glühende Sturmhaube aufgesetzt, ihm einen Anker an den Hals gehängt und ihn ins Meer geworfen, schick, nicht? Die Christen aber hätten gebetet, daß ihnen der Leib des Märtyrers gezeigt werden möge. Da sei das Meer drei Meilen weit zurückgewichen, und sie hätten trockenen Fußes zu einem marmornen Tempel schreiten können, irgendwie gäbe es da Anleihen bei der Mosesgeschichte, zuerst das mit dem Stab und jetzt die weichenden Wasser … Jedenfalls dort, in dem marmornen Tempel, hätten sie Clemens’ Leichnam in einer Arche liegend gefunden. Einer höheren Eingebung folgend ließen sie den Heiligen an dieser Stelle ruhen, und jedes Jahr an Clemens’ Todestag gab das Meer den Zugang für die Pilger frei. Clemens dachte, wenn er im Rieselblick den Tod durch Ertrinken erleiden würde, ob dann auch die Wasser, einmal im Jahr … Einmal, so P. weiter, sei ein Weib mit ihrem Söhnchen gekommen, und während der Feier wäre der Kleine eingeschlafen. Als aber dann das Rauschen der zurückkehrenden Wellen zu vernehmen gewesen wäre, habe die erschrockene Mutter ihr Kind vergessen und sei – ganz Rabenmutter – allein an das Ufer geeilt. Dort fiel ihr der Knabe wieder ein, und sie habe geweint und zum Himmel gefleht, doch er wäre verschwunden geblieben. Erst nur an sich denken und dann beten, warf Clemens ein, das habe man gern … Ein Jahr lang habe sie um ihren Sohn getrauert, dann sei sie wieder an den Ort gekommen und habe das Knäblein in dem marmornen Tempel unversehrt vorgefunden, genau dort, wo sie es zurückgelassen hatte. Wenn das kein Wunder sei, das solle er, Sankt Clemens Limbularius, erst einmal nachmachen. Nun zum Ende der Geschichte: wegen der Sünden der Menschen aber sei eines Tages das Wunder der Öffnung des Meeres vergangen. Clemens’ Gebeine und der Anker seien viele Jahre später von frommen Christen gefunden und nach Rom gebracht worden, und seither lägen sie in der Kirche seines Namens, San Clemente, in der Nähe des Colosseums, im zwölften Jahrhundert über einer Basilika aus dem Jahr dreihundertfünfundachtzig errichtet, die tausendvierundachtzig zerstört worden sei. Die Chorschranken seien noch aus der alten Kirche, das mittelalterliche Apsismosaik sei dem des Vorgängerbaues nachempfunden. Von der Oberkirche, die auch mit beeindruckenden Kosmatenarbeiten (Clemens schaute fragend, wurde aber nicht aufgeklärt) und Fresken geschmückt sei, könne man in die Ausgrabungen der frühchristlichen Kirche hinabsteigen, unter der sich wiederum Reste eines römischen Hauses aus dem zweiten Jahrhundert befänden, vermutlich ein Lupanarium – ah, ein Lichtblick! –, wie die Archäologen aus den Resten der Fresken geschlossen, sowie ein Gebäude mit einem Mithrasheiligtum. Der heilige Clemens, nur so viel noch, werde mit Anker; auch mit Lamm und Quelle dargestellt. Er sei der Patron von Aarhus, Compiègne, der Krim und von Sevilla – La Siraña den Sevilla … –; des weiteren sei er der Schutzheilige der Hutmacher, wohlbemerkt, nicht ihrer Phantome, der Marmorarbeiter, Mosthändler (na also!), Schiffer, Seeleute und der Kinder. Man rufe ihn an gegen Gewitter, Stürme und gegen Schiffbruch. Und P. spekulierte, ob wohl der Schiffskoch seinen, Clemens’ Namenspatron angerufen habe, als ihm in der Kombüse der MS Helena das Wasser bis zum Hals gestiegen …

(HannaH & SesyluS oder Eine Reise aus der Welt in drei Tagen, Der erste Roman der Clemens Limbularius Trilogie, 3. Auflage, unveröffentlichtes E-Book, Berlin 2015, Kapitel XIII).

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