Donnerstag, 25. Oktober 2018

Cimitero acattolico


Ein Beispiel jedoch für die Unberechenbarkeit des ewigen Gedächtnisses – das zugleich auch Ovid bestätige – lieferte Oscar Wilde, mit dem Köberlin endlich zum Anlaß seiner Bemerkungen kam, Wilde, der anläßlich seines Besuches der ewigen Stadt im Jahre achtzehnhundertsiebenundsiebzig auch die Pyramide des Cestius besichtigt habe, wie sie da unzerstört inmitten des Trümmerwerks der Zeit vor einem stehe, eine schreckliche, steingewordene Unteilnahme (schön das Wort! Clemens nahm sich vor, es bei Gelegenheit einmal im Original – er hatte hier Wilde bloß in einer Übersetzung zur Hand – nachzuschlagen). Darum wohl auch hätten die Menschen des Mittelalters das Monument für die Grabstatt des Remus gehalten, des zu Zeiten der Stadtgründung vom leiblichen Bruder Erschlagenen. Heutzutage freilich besäße man akkuratere Kunde und wüßte, daß man vor dem Grabmal des Caius Cestius stehe, eines römischen Vornehmen etwelchen Ranges, der um das Jahr dreißig vor Christi Geburt verstorben sein solle (soweit wir wissen starb er im Jahr zwölf vor).
Armer Caius Cestius, so Köberlin, aber vornehm und reich genug sein, um eine Pyramide zu errichten, das allein täte es noch nicht. Und so würde sein Name denn eher als Marginalie überliefert, und zwar wegen eines Umstandes, auf den er zu seiner Zeit keinen Einfluß haben konnte. Zwar konnte Wilde nicht sonderlich viel empfinden für den Toten, der da so einsam unter seinem Denkstein lag, indes ward solche Pyramide doch und für immerdar teuer jedem Besucher englischer Zunge: gegen Abend lege nämlich ihr Schatten sich auf die Grabstätte eines der holdesten Sänger. Zu Füßen der Pyramide erstrecke sich hangabwärts ein grüner besonnter Fleck Erde, der alte Protestantenfriedhof (Jean Paul nannte ihn im Titan den Ketzer-Gottesacker und bezeichnete ebendort die Cestius-Pyramide als dessen Epitaphium … confusion will be my epitaph …), und auf ihm, da gäbe es ein schlichtes Grab, dessen Stein auf Wunsch des dort Begrabenen die Inschrift trage: Here lies one whose name was writ in water.
Das ewige Gedächtnis, so Köberlins Konklusion, zeige also neben seiner Launenhaftigkeit auch noch einen Sinn für Ironie, indem es den Karrieristen, der beharren wolle, vergäße, und jenen, der auf das Verschwinden aus wäre – ein in unseren Breiten damals wie heute doch eher ungewöhnlicher Heroismus –, wegen seiner Werke erinnere, womit wir wieder bei Ovid wären.

(… du rissest dich denn ein., Der zweite Roman der Clemens Limbularius Trilogie, Berlin 2010, S. 168f.).

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