Herbert Neidhöfer, homme de lettres
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Sonntag, 17. Januar 2016
Freitag, der 17. Januar 2014
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Die Sonne machte Hans Köberlin schläfrig, er legte seine Füße auf den zweiten Stuhl und nickte ein, ein paar Minuten nur, dann war er wieder frisch. »Die Hunde bellen, aber die Kamele ziehen vorbei«, las er bei Ingeborg Bachmann. Er schaute nach seiner elektronischen Post, der Verleger hatte auf ein Schreiben Hans Köberlins geantwortet, er wurde auf seine alten Tage anscheinend noch zum Lacanianer … Dann stieß er bei Shakespeare, bei dem er die Herkunft einer Phrase recherchierte, zufällig in The History of Troylus and Cressida, Act 1, Scene 2, auf eine Stelle, die ihm gefiel: »Indeed a Tapsters Arithmetique may soone bring his particulars as therein, to a totall.« Und dann begann er, nicht wie beabsichtigt morgen, sondern bereits heute, also einen Tag vor Arno Schmidts 100. Geburtstag, mit der Lektüre von Schwarze Spiegel, jener Erzählung, in der ein Ich-Erzähler in typisch schmidtscher Manier beschrieb, was ein Überlebender des finalen Atomkriegs 1960 (also dem Jahr, in dem Hans Köberlin geboren worden war) allein in der Lüneburger Heide so treiben würde. Er, an der Stelle des Protagonisten, so sagte sich Hans Köberlin, er hätte sich zum südlichsten Punkt Europas durchgeschlagen. Was Hans Köberlin von der Lektüre der diversen Romane und Erzählungen Arno Schmidts gelernt hatte – er hatte diesem Autor überhaupt viel zu verdanken –, das war das ad-hoc-Sicheinrichten, auch wenn es bloß um temporäre Aufenthalte ging (hier, an der weißen Küste, das war ein Mittelding: ein temporäres Andauerndes). Da standen sie alle in der Tradition Robinson Crusoes.* Hans Köberlin vermutete, Schmidt ging es in Schwarze Spiegel unter anderem auch darum, sich an der Bürokratie zu rächen, etwa bei der Postamtsszene …: ein kleinbürgerlicher Cioran, der die Welt untergehen ließ, um einmal hinter den Postschalter stehen und in fremden Briefen schnüffeln und später dann unbehelligt Bücher klauen zu dürfen …: seine Welt nach dem Atomkrieg war eine einzige Wunscherfüllungsphantasie. Aber einen Wunsch konnte man sich nicht alleine erfüllen, den wichtigsten …
* Es gab – neben Schwarze Spiegel und anderen Erzählungen Schmidts – noch einige Referenzen zu den Modalitäten seines Hierseins, denen er noch nicht nachgegangen war, Defoes Roman gehörte dazu und Shakespeares The Tempest und Stanley Kubricks Shining (1980).
(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel X [Phase IV – oder: modus vivendi], 7. bis 30. Januar 2014).
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