Freitag, 18. Dezember 2015

Mittwoch, der 18. Dezember 2013


[78 / 246]
Hans Köberlin saß also auf der anderen Dachterrasse und las und schrieb. Wie man sicher bereits bemerkt hat, scheute er sich, für seine Tätigkeit den Begriff ›Arbeit‹ zu verwenden, obwohl er es hätte tun müssen, um seinen Zustand vor sich zu legitimieren. Aber der Begriff ›Arbeit‹ hatte in Hans Köberlins Weltbild seine Unschuld verloren und er benutzte ihn bloß noch in ökonomischen Kontexten (= Brotarbeit). Außerdem machte er das, was er machte, mit großer Lust, auch wenn es manchmal anstrengend war …
Irgendwann klingelte der Briefträger und warf, als Hans Köberlin nicht schnell genug von der anderen Dachterrasse herunterkam, das für den Briefkasten viel zu große Couvert einfach über das Tor. Es war Hans Köberlins Exemplar von Telos oder Beiträge zu einer Mythologie des Clemens Limbularius. So kam also der dritte Bericht über die seltsamen Abenteuer ramponiert und mit einer Delle in der linken unteren Ecke bei ihm, dem unbenannten Herausgeber und Kommentator der letzten Fragmente, an, vielleicht irgendwie symptomatisch, sagte er sich.
»Es steht nirgendwo geschrieben, daß alle Menschen ihr Leben so führen müssen, daß sie zu sorgfältig gebundenen Büchern geraten.«*
Außerdem gab es – im Briefkasten – zwei Liebesgrüße von der Frau. Er ging mit der Post wieder auf die andere Dachterrasse. Sein erster Gedanke, als er das Buch ausgepackt hatte, war, darauf einen zu trinken, aber es war noch nicht einmal drei Uhr. Dann dachte er, soetwas wolle er auch noch einmal machen und zu einem Ende bringen. »Ein guter Mensch sein oder ein gutes Buch schreiben …: ist diese Alternative tatsächlich notwendig?« Zuerst schaute er natürlich, wie das Bild auf Seite 356 geraten war …: gut!** Wind kam auf, er ging also in keine Bar, sondern zu einem Ingwercocktail in den leeren Wintergarten an den Tisch dort, der nichts mit Striptease zu tun hatte.


* Peter Sloterdijk und Thomas Macho, Gespräche über Gott, Geist und Geld, Freiburg / Basel / Wien 2014, S. 45.
** »Wenn noch ein Messias geboren würde, so könnte er kaum so viel Gutes stiften, als die Buchdruckerei.« (Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher; in: Schriften und Briefe, München 1968ff., Bd. 2, S. 224).

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).

Keine Kommentare: