Samstag, 19. Dezember 2015

Donnerstag, der 19. Dezember 2013


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… und Hans Köberlin als Ästhet sah den Klerus lieber häßlich denn feist.*
Hans Köberlin legte sich wieder ins Bett und schrieb dort ein wenig und las ein wenig im Ulysses, wie gesagt, im neunten Kapitel, in der Bibliothek …: »The beautiful ineffectual dreamer who comes to grief against hard facts.« Ja, ja, das war er … Bei einer seiner früheren Lektüren in der Ausgabe von Goyert hatte er auf der Seite 216 eine von Stephen Dedalus gemachte Äußerung angestrichen: »Ein Genie begeht keine Fehler. Seine Irrtümer entspringen seinem Willen und sind die Tore der Erkenntnis.« Oder wie es im Original hieß: »A man of genius makes no mistakes. His errors are volitional and are the portals of discovery.« Er konnte nicht mehr nachvollziehen, warum er sich diesen etwas markigen Satz angestrichen hatte. Er huldigte doch keinem Genienkult und glaubte auch an die fatale Wirksamkeit von Fehlern, Fehlern, aus denen man nichts lernen konnte, sondern die einen in Sackgasen führten oder untilgbare Stacheln in der Erinnerung waren …: nein, ein Genie war der, der es geschafft, daß seine Fehler nicht als solche betrachtet wurden, man mußte das vom Werk aus betrachten, der Entscheidung und dem Urteil des Rezipienten, und nicht vom Schöpfer, der Autor war tot.


* 1997 erinnerte die Abbildung eines Filmplakats an William Cameron Menziesʼ Adaption von H. G. Wells Things to Come aus dem Jahre 1936. Hans Köberlin hatte diesen Science-Fiction-Film einmal gesehen, als ein Freund ihn im Raum der Arbeitsgruppe ›menschen formen‹ vorgeführt, hatte aber bloß noch eine verschwommene Vorstellung …: es gab drei Phasen: die Vernichtung, dann der rational-technische Neuanfang, der auf eine Diktatur hinauslief, und schließlich eine Revolution, an deren Ausgang Hans Köberlin keine Erinnerung mehr hatte. Laut Borges hatte sich Wells von dem Film distanziert, weil er »The Dictatorship of the Air« nicht als so monströs dargestellt sehen wollte, wie sie im Film erschien (vgl. Jorge Luis Borges, Von Büchern und Autoren. Rezensionen, Essays, Biogramme 1936-1939; in: Werke in 20 Bänden, hrsg. von Gisbert Haefs und Fritz Arnold, Frankfurt am Main 1993ff., Bd. 4, S. 34f.). Und 1996 sah man auf dem Kalenderblatt, wie der Regisseur Ernst Marischka (in den körperlichen Dimensionen des späten Orson Welles) während der Dreharbeiten zu Sissi – Die junge Kaiserin (1956) Romy Schneider, die sich vorbeugte (wohl um ihr Kostüm nicht zu bekleckern) und brav ihren Mund öffnete, mit irgendeiner Süßspeise fütterte. Fast hätte dieses Bild wegen seiner hintergründigen Frivolität und Romy Schneiders bloßen Schultern und ihrem Dekolleté seinen Platz an Hans Köberlins Schlafzimmerwand gefunden, aber nur fast …

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VIII [Phase III – oder: Konsolidierung], 19. November bis 19. Dezember 2013).

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