Wegen des starken Windes mußte Hans Köberlin im leeren Wintergarten frühstücken. Salami, Käse, Butter, Marmelade und Eier waren noch von vorletzter Woche im Kühlschrank gewesen und im Eisfach das Toastbrot für alle Fälle. Er frühstückte, um an die Frühstücke in der Hauptstadt, in der er ja gestern noch gewesen, anzuknüpfen, mit dem ersten Set jenes Konzerts, das Miles Davis am 23. Dezember 1965 – da war der Busenfreund ein Jahr alt geworden – in der für ihre Schlachthöfe berüchtigten Stadt gegeben hatte. Es war das gleiche Programm wie bei dem ersten Set des Vortags, das Hans Köberlin nicht mehr so im Gedächtnis hatte, daß er hätte vergleichen können. Die Musik rauschte die ersten zehn Minuten dahin, dann ließ Herbie Hancock Hans Köberlin aufhorchen. Während er also mehr oder weniger konzentriert hörend da saß und auf das schaute, was man durch die beiden nicht satinierten Glastüren des leeren Wintergarten sehen konnte – den Hof, die Mauer zum vorderen Garten, den Zitronenbaum, die Palme, die Nachbarhäuser, die Hochhäuser und den Morro de Toix – begann die in der Hauptstadt verbrachte Zeit bereits wieder unwirklich zu werden … gestern am Morgen noch in der ersten Dämmerung bei Kaffee durch das Küchenfenster der Frau auf die Spree geschaut … Bei Stella By Starlight war es Wayne Shorter, der Hans Köberlins besondere Beachtung fand, der Meister selber tauchte vor allem bei den ruhigeren Passagen oder bei unerwarteten Tempowechseln in seinem Bewußtsein auf. Aber es müßte nun einmal wieder etwas Elektrisches kommen, etwas aus seiner, Hans Köberlins, Zeit. I Fall In Love Too Easily war eine Erholung nach Walkin’, irgendeiner der Miles-Davis-Biographen, Hans Köberlin wußte nicht mehr, wo er es gelesen hatte, hatte einmal die Bandbreite der Auftritte jener Zeit mit »Balladenstimmung« und »hektische Treibjagd« abgesteckt, das traf es ganz gut.
(¡Hans Koberlin vive! oder Schreiben als Ausziehtanz. Versuch einer Langzeitdokumentation vom 2. Oktober 2013 bis zum 21. August 2014, nebst einem Prolog, anhebend bei der Schöpfung der Welt, und einem Epilog, fortdauernd bis zu deren Ende, Calpe, Berlin und Heide 2013ff., Zweiter Teil. Vom 20. Dezember 2013 bis zum 27. April 2014, XII [Fünfte Phase – oder: Un gringo en Calpe] Vom 10. Februar bis zum 6. März 2014, S. 1182).
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