Sein seit drei Jahrzehnten verstorbener bester Freund erschien dem Erzähler immer wieder in den Träumen, aber nur in der Situation nach dem Bekanntwerden der tödlichen Krankheit. Der Erzähler nun gab diesem speziellen Auftauchen in den Träumen den Status des Lebens an einem ihm selber ungewissen »ahí«. Immer wieder mußte der Freund dort sterben. Eingebettet
waren in diese Erzählung Versuche der Legitimation ihrer Niederschrift. Ich wußte nicht, auf was Cortázar da hinauswollte.
(Julio Cortázar, Cuentos Completos, Octaedro (1974)).
Nachtrag vom Montag, dem 21. August 2017, geschrieben in Peniche: ähnliches beschrieb Álvaro de Campos in seinem Gedicht über die Erinnerung an die Toten …
Die Toten! Auf welch erstaunliche Weise
Und mit welch erschreckendem Nachhall
Leben sie in unserer Erinnerung!
Meine alte Tante in ihrem alten Haus, auf dem Land,
Wo ich glücklich war und gleichmütig, und das Kind, das ich war …
Ich denke daran und eine rasende Sehnsucht durchdringt mich …
Und zudem denke ich, sie ist schon seit Jahren tot …
All dies ist, genau genommen, geheimnisvoll wie eine Abenddämmerung …
Ich denke, und die ganze Unergründlichkeit des Universums durchdringt mich.
Ich sehe all dies in der Vorstellung so klar und deutlich wieder,
Daß ich anschließend, wenn ich denke, daß all dies vorbei ist
Und sie tatsächlich tot,
Dem Geheimnis bleicher gegenüberstehe,
Es dunkler sehe, erbarmungsloser, ferner,
Und nicht einmal weine, so aufmerksam bin ich gegen den Schrecken des Lebens …
Wie gern wäre ich Teil der Nacht,
Ohne die Konturen der Nacht, irgendein Ort im Raum,
Kein Ort im eigentlichen Sinn, da nicht zu orten noch klar umrissen,
Doch Nacht in der Nacht, ein Teil von ihr, ihr zugehörend, überall,
Und naher und ferner Gefährte meines Mangels an Leben …
All dies war so wirklich, so lebendig, so gegenwärtig! …
Sehe ich es in mir wieder, wird es erneut lebendig in mir …
Ich kann kaum glauben, daß etwas so Wirkliches vergehen …
Und heute nicht sein oder heute so anders sein kann …
Das Wasser des Flusses fließt zum Meer, entschwindet meinem Blick,
Erreicht das Meer und verliert sich im Meer,
Aber verliert sich das Wasser deshalb selbst?
Ein Ding hört auf zu sein, was es unbedingt ist,
Oder versündigen sich unsere Augen und Ohren gegen das Leben
Und unser äußeres Bewußtsein gegen das Universum?
Wo ist heute meine Vergangenheit?
In welcher Truhe hat Gott sie verwahrt, daß ich sie nicht finden kann?
Wenn ich sie wiedersehe in mir, wo dann sehe ich sie?
All dies muß einen Sinn haben – vielleicht einen ganz einfachen –
Doch soviel ich auch denke, er erschließt sich mir nicht.
13. 12. 1914
(Fernando Pessoa, Álvaro de Campos. Poesie und Prosa, aus dem Portugisischen übersetzt, herausgegeben und mit Anmerkungen versehen von Inés Koebel, Frankfurt am Main 2014, S. 45f.).
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