Donnerstag, 8. Oktober 2015

Dienstag, der 8. Oktober 2013


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Es hatte ein wenig geregnet, aber alle Wolken lösten sich im Verlauf der Tour auf.* Um zum Fuß des Berges zu kommen, mußte man über die auf der gegenüberliegenden Seite in einer Kurve liegende Abzweigung von der Nationalstraße hinausfahren, um dann hinter der Kurve auf einem Parkplatz, auf dem zwei Mädel, die sich einen Klappstuhl teilen mußten, anschafften, zu wenden. Als man am Fuß des Morro de Toix ankam, sah man richtige Bergersteiger (wie ja auch die Frau eine war, eine richtige Bergersteigerin) in der Wand hängen. Die Frau äußerte den Wunsch, einmal bei solch einer Kletteraktion von Hans Köberlin gesichert zu werden. Unterzog derart eine passionierte Bergersteigerin ihr Vertrauen in den Geliebten einer Probe? Hans Köberlin, den Ungeschick,** schauderte es bei der Vorstellung, das Leben der Frau in seinen Händen zu halten. Aber er sollte sich in der Hinsicht noch über sich selber wundern …
Es ging dann über ein in der Beschreibung der Route nicht erwähntes Geröllfeld ziemlich lange und ziemlich kompliziert und ziemlich steil nach oben. Hans Köberlin maulte nicht, blieb bloß einmal mit dem Fuß derart in einer Felsspalte stecken, daß er zuerst den Fuß aus dem Schuh und dann mit Mühe den leeren Schuh befreien mußte. Dabei fiel ihm die sogenannte ›wahre‹ (und als solche auch verfilmte) Geschichte, von der er erstmals durch eines der letzten Bücher Sloterdijks Kenntnis erhalten (als Beispiel für Willensstärke oder Selbstüberwindung, wie Hans Köberlin sich zu erinnern glaubte), von jenem Mann ein, der einsam im Gebirge sich einen Arm nicht mehr befreibar eingeklemmt und schließlich, nach Tagen völlig entkräftet und dehydriert, sich den Arm selber gebrochen und mit der Säge seines Taschenmessers selber amputiert hatte. Naja …: was geht er auch ohne Frau ins Gebirge?! Die Frau hätte ihm schon rausgeholfen …


* »Unversehens war der Himmel blau geworden. Es war nicht bloß blau, sondern blaute, und blaute. Es war das ein Blauen von einer Zartheit, daß man sich in die Sicherheit gewiegt fühlte, diese Zartheit wür-de nie vergehen.« (Peter Handke, Der große Fall, Berlin 2011, S. 55).
** »Ungeschickt läßt grüßen«, vgl. Walter Benjamin, Berliner Kindheit um 1900; in: Gesammelte Schriften, unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt am Main 1982, Bd. 4, S. 303 und vom Verf. … du rissest dich denn ein., Berlin 2010, S. 393ff.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel III [Ankunft], 5. bis 9. Oktober 2013).

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