In dem aktuellen Roman von Milan Kundera, Das Fest der Bedeutungslosigkeit (München 2015, S. 56f.), der, nur nebenbei bemerkt, in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 22. Februar 2015 nicht seiner Qualität entsprechend rezensiert wurde, macht einer der Protagonisten eine interessante Unterscheidung der Menschheit in zwei Typen, nämlich in Entschuldiger und Anschnautzer:
Sich schuldig fühlen oder nicht. Ich glaube, das ist der springende Punkt. Das Leben ist ein Kampf aller gegen alle. Das ist bekannt. Doch wie verläuft so ein Kampf in einer mehr oder minder zivilisierten Gesellschaft? Die Leute können nicht übereinander herfallen, sobald sie sich erblicken. Stattdessen versuchen sie, dem anderen die Schande der Schuld anzuhängen. Es gewinnt der, dem es gelingt, den anderen schuldig zu machen. Es verliert der, der seinen Fehler zugibt. Du gehst gedankenverloren auf der Straße. Ein Mädchen kommt dir entgegen, als wäre es allein auf der Welt, ohne nach rechts oder links zu schauen, geht es geradeaus. Ihr rempelt euch an. Und jetzt kommt der Moment der Wahrheit. Wer wird den anderen anschnauzen, wer wird sich entschuldigen? Das ist eine beispielhafte Situation: In Wirklichkeit ist jeder der beiden zugleich Angerempelter und Rempler. Und doch betrachten sich manche sofort, spontan als Rempler, das heißt als Schuldige. Und manche sehen sich immer, sofort, spontan als Angerempelte, das heißt als im Recht, bereit, den anderen zu beschuldigen und bestrafen zu lassen. (…) Wer sich entschuldigt, bekennt sich schuldig. Und wenn du dich schuldig bekennst, ermutigst du den anderen noch, dich weiter zu beschimpfen, dich anzuprangern, in aller Öffentlichkeit, bis zu deinem Tod. Das sind die verhängnisvollen Folgen der ersten Entschuldigung.
Man ist sich im Roman natürlich einig, zu welchem Typus man (dennoch!) gehört (und hier eine Entschuldigung an den FAS-Rezensenten Volker Weidermann) … (siehe dazu auch Telos, S. 77ff.).
In einer anderen schönen Passage (S. 94) heißt es etwas resigniert:
Wir haben seit langem begriffen, daß es nicht mehr möglich ist, diese Welt umzustürzen oder neu zu gestalten oder ihr unseliges Vorwärtsrennen aufzuhalten. Es gab nur noch einen einzigen möglichen Widerstand: sie nicht ernst zu nehmen.
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