Dienstag, 3. Mai 2016

Samstag, der 3. Mai 2014


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Im Mythos von Echo und Narkissos traf die Fatalität der Sprache auf die Fatalität des Bildes. Es herrschte bei beiden jeweils ein Zuviel: Echo redete zuviel und wurde dazu verdammt, nur noch reaktiv sprechen zu können; Narkissos sah zu gut aus und wurde dazu verdammt, seinem eigenen Bild verhaftet zu bleiben. Der Manierismus der ovidschen Metamorphosen entsprach, so Hans Köberlin, sich vergangener theoretischer Abwege erinnernd, Lacans ‒ bewußter? ‒ Fehlleistung bei seiner Antigonelektüre: er entsprach der Flucht in unmögliche Krankheiten.* Die Flucht ging bei Ovid in Existenzmodi, die in der klassischen Hierarchie unterhalb der des Menschen lagen, also die Flucht ins vegetative, ins asoziale. Bei Narkissos war es (sehr schön artikuliert in der Übersetzung von Ernst Günther Schmidt) »die Art des Tods und die Neuheit des Wahnsinns.«** Warum war noch kein Psychoanalytiker auf den Echokomplex oder das Echosyndrom, nämlich die Manie, alles was man hörte, nachplappern zu müssen, gekommen?


* Siehe Jacques Lacan, Das Seminar Buch VII (1959-1960). Die Ethik der Psychoanalyse, Weinheim / Berlin 1996, S. 330.
** Ovid, Metamorphosen, III.350.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel XVII [Phase 7 – darin: Besuch von Freunden], 28. April bis 15. Mai 2014).

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