Nähme man Adornos Typen musikalischen Verstehens, so der Referent weiter, dann könne man Hans Köberlin zu den guten Zuhörern zählen. Der gute Zuhörer, Zitat, höre über das musikalisch Einzelne hinaus; vollziehe spontan Zusammenhänge, urteile begründet, nicht bloß nach Prestigekategorien oder geschmacklicher Willkür, aber er sei der technischen und strukturellen Implikationen nicht oder nicht voll sich bewußt, er verstehe Musik etwa so, wie man die eigene Sprache verstehe, auch wenn man von ihrer Grammatik und Syntax nichts oder wenig wisse, unbewußt der immanenten musikalischen Logik mächtig, Zitatende.
Dann hantierte der Referent erneut an dem Laptop herum, und an der Stelle der Notation erschien ein von Ray Smith gestaltetes Plattencover der britischen Band Henry Cow, jene legendäre Socke grob aus roten und blauen Elektrokabeln gestrickt, das Ende des Beines (spät erst war bei Clemens der Groschen gefallen), wozu Musik erklang.
Teenbeat, flüsterte Clemens dem Verleger zu, der nippte wissend an seinem Wein und meinte bestätigend, man befände sich unter seinesgleichen. Was man soeben gehört habe, so der Referent nach dem Ausklingen der letzten Töne, hieße
Teenbeat und sei ein sehr frühes Stück, das Fred Frith als Mitglied der britischen Band Henry Cow eingespielt habe, ein Stück, in dem die wichtigsten Aspekte der Musik dieses Genies bereits angelegt seien, in seinen eigenen Worten: a beautiful living and breathing beast that was always fun to play and had all kinds of hidden subtileties. Fred Frith – ein Multiinstrumentalist – sei der Musiker, dessen OEuvre den erwachsenen Hans Köberlin ständig begleitet und ihm über weite Strecken den Soundtrack seines Lebens geliefert habe und der ihn auch häufig beim Schreiben beeinflußt habe, explizit zum Beispiel das Album
Dropera bei dem Ende seines ersten Romans, für Köberlin sei Fred Frith der bedeutendste zeitgenössische Musiker gewesen, und nicht nur zeitgenössische, zurecht, wie er glaube, deswegen habe er dieses Beispiel auch an den Anfang seines Vortrags gestellt.
(aus:
… du rissest dich denn ein., Berlin 2010, S. 476f.; siehe →
#3).
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