Mittwoch, 11. November 2015

Montag, der 11. November 2013


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Und noch so ein schöner Satz von Benjamin …: »Der Sammler träumt sich nicht nur in eine ferne oder vergangene Welt sondern zugleich in eine bessere, in der zwar die Menschen ebensowenig mit dem versehen sind, was sie brauchen, wie in der alltäglichen, aber die Dinge von der Fron frei sind, nützlich zu sein.« (was ja die Menschen auch brauchen!) … und …: »Wohnen heißt Spuren hinterlassen.« und aus dieser Tatsache leitete Benjamin über Poe die Genese der Detektivgeschichte mit dem bürgerlichen Privatmann als Verbrecher ab. An anderer Stelle schrieb er dagegen (Hans Köberlin hatte es in einem Fragment des dritten Berichts gelesen und wir haben es bereits in einer Fußnote erwähnt): »Nachtrag zu Brechts Untersuchungen über das Wohnen und die Vorstellungen im allgemeinen: Wohnen im Hotel. – Vorstellung, das Leben sei ein Roman.« – War früher Hans Köberlin ein eher seßhafter Sammler (von Büchern und Tonträgern) gewesen (eine Zeitlang sogar einmal Hausbesitzer – mit Grausen dachte er daran zurück, da hatte er zwar keine Spuren am Haus, aber das Haus Wunden bei ihm hinterlassen), so hatte ihn das Leben dazu gebracht, der zuletzt genannten Vorstellung nachzueifern …: leicht werden, möglichst ohne materielle Habe, das, von dem man sich auf keinen Fall trennen konnte, vielleicht ein paar Bücherkisten und einige besonders schöne sogenannte Box Sets von Miles Davis, John Coltrane, Sun Ra, Henry Cow, Art Bears, Naked City und Can,* sowie die saisonal gerade nicht benötigte Kleidung würde man bei einem Freund – aktuell, wie bereits erwähnt: dem Verleger – lagern, und mit einem robusten Laptop und nur einem Koffer mit Kleidung irgendwo leben, wo man ohne großen Aufwand wieder aufbrechen könnte. Literatur, Filme und Musik hätte man soweit wie möglich digitalisiert, wo das nicht gegangen sei, da würde man in die öffentlichen Bücherhallen gehen. – Und unabhängig vom Grad des Nomadisierens hatte für Hans Köberlin die Vorstellung, das Leben sei ein Roman, schon immer etwas Tröstendes gehabt.**


* Im Januar sollte noch ein sogenanntes Box Set mit dem kompletten Œuvre von Cassiber und im April das dritte Box Set aus der Serie mit Bootlegs von Konzerten Miles Davis’ hinzukommen. Es fiel Hans Köberlin manchmal nicht leicht, leicht zu sein.
** Etwas Tröstendes hatte sie auch für den Hilfsbuchhalter Bernardo Soares gehabt, denn der hatte in seinem Livro do Desassossego geschrieben, alles, was einem widerfahre, als Geschehen oder Episoden eines Romans zu betrachten, den man nicht mit den Augen, sondern mit dem Leben lese, allein mit dieser Haltung könne man die Tücke der Tage und die Launen der Ereignisse bezwingen (vgl. Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares, hrsg. von Richard Zenith, Zürich 2003, S. 244).

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel VI [Phase II – oder: post Telos], 3. bis 14. November 2013).

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