Es dürfte nicht ausreichen, mit diesem Begriff [Fiktionalität] nur die besondere Qualität einer besonderen Art von Texten zu bezeichnen, etwa Texten, denen erlaubt ist, sich nicht nach der bekannten Realität und ihren Wesensformen zu richten, sondern virtuelle Realitäten anderer Art vorzustellen. (…) Auch die sich selbst überlassene, nur auf das ästhetisch Mögliche verwiesene Fiktionalisierung der Literatur gerät mit dem Gott der Leibnizschen Weltordnung in Konflikt. Denn offenbar ist jetzt Fiktionalität, sofern sie ästhetisch gelingt, nicht darauf angewiesen, sich kompossibel in unsere Welt einzufügen. Kann man, so ist zu fragen, diesen Punkt offenlassen? Ist also Fiktionalität nur gelungene Darstellung einer möglichen Ordnung oder muß mehr verlangt werden?
Sieht man genauer zu und zieht man die Geschichte der Ausdifferenzierung von eigenständiger Fiktionalität mit in Betracht, dann handelt es sich gar nicht um die bloße Ausarbeitung irgendeiner virtuellen Realität, sondern, thematisch oder unthematisch, um das Verhältnis von virtueller Realität und realer Realität. Es wird eine fiktionale Ordnung gefunden, damit man von da aus die normale, allen bekannte Wirklichkeit betrachten kann, etwa in ihrer Härte und Unausweichlichkeit oder in ihrer Normalität und Langweiligkeit. Oder es wird eine Sehnsucht geweckt nach etwas, was fehlt, ohne daß man es bisher vermißt hätte.
(Niklas Luhmann, Literatur als fiktionale Realität; in: Schriften zu Kunst und Literatur, hrsg. von Niels Werber, Frankfurt am Main 2008, S. 280f.).
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