»Blind für wirkliche Schuld, kann das Schicksal doch unbarmherzig gegen die kleinsten Unachtsamkeiten sein«, zu dieser im Sinne des Wortes fatalen Einsicht kam der Erzähler in Borges’ El Sur (Der Süden; in: Fiktionen; in: Werke in 20 Bänden, hrsg. von Gisbert Haefs und Fritz Arnold, Bd. 5, Frankfurt am Main 1992, S. 154). Eine Illustration dieser Einsicht ist das Schicksal des Kunstfälscherehepaars Helene und Wolfgang Beltracchi, wie es Burkhard Müller in einem sehr lesenswerten Aufsatz berschreibt:
Die Stilkritik hat im Fall Beltracchis ein Fiasko erlebt, von dem sie sich so schnell nicht und vielleicht nie wieder erholen wird. Was die Provenienz angeht, also den möglichst lückenlosen Nachweis des Verbleibs eines Kunstwerks von seiner Entstehung bis zur Gegenwart, konnten die Beltracchis mit ihren frei erfundenen historischen Sammlungen straffrei ein Theater von erstaunlicher Unverfrorenheit abziehen. Es genügte an einem bestimmten Punkt, daß sie ein altes Wohnzimmer nachstellten, mit Fotokopien der von ihnen mittlerweile verkauften Gemälde schmückten (kam ja sowieso alles schwarzweiß rüber), Elena Beltracchi mit Rüschenbluse und Häubchen als Großmutter posierte (was offenbar keinem auffiel) und das Ganze mit einer altertümlichen Kamera festgehalten wurde.
Zum Verhängnis wurden den beiden schließlich Fehler beim Material: Eine Farbtube, auf der »Zinnweiß« stand, enthielt in Spuren ein Titanweiß, das zum fraglichen Zeitpunkt noch nicht auf dem Markt war. Sie fielen am Ende einer Fehldeklarierung zum Opfer. Man wird dieses Endes nicht recht froh. Es ist, als wäre Caesar, statt den Dolchen der Senatoren, einer Lebensmittelvergiftung erlegen. Sie sind über etwas gestürzt, was sich zu ihrem Können rein zufällig verhielt.
(Burkhard Müller, Beltracchi. Oder warum die Kunst den Zweifel braucht; in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, hrsg. v. Christian Demand, Heft 790, 69. Jahrgang, Stuttgart März 2015, S. 13).
Anders als Burkhard Müller allerdings werde ich dieses Endes recht froh (insofern es ein Ende geben mußte, damit es eine Geschichte werden konnte, ansonsten hätte ich den Beltracchis natürlich weiterhin ein frohes Schaffen gewünscht), denn eingedenk der Geschichten Poes und Borges’ oder eingedenk der zahlreichen Filme, die sich mit dem sogenannten perfekten Verbrechen beschäftigten, etwa Rififi (Jules Dassin, 1955) und L’ascenseur pour l’échafaud (Luis Malle, 1958), war dies ein angemessenes Ende, weil es angesichts der Komplexität des Falles von unglaublich banalem Charakter war, so daß es die sprichwörtliche Ironie des Schicksals aufblitzen ließ wie selten (und dem Schicksal eine Ironie zu unterstellen ist vielleicht eine bessere Wappnung gegen es als die Ergebenheit in es), und, wie Burkhard Müller gleichfalls anmerkte aber anders bewertete, weil es sich der Einflußnahme der Agierenden entzog. Gerade dies, so finde ich, tut der Überlegenheit der Beltraccis selbst in ihrem Scheitern keinen Abbruch, sie brauchten sich kein Versagen vorzuwerfen (daher paßt auch das einleitende Zitat nicht so ganz, denn es ist weit weniger denn eine Unachtsamkeit, nicht zu überprüfen, ob sich in einer Tube, auf der »Zinnweiß« stand, auch ja keine Spuren von »Titanweiß« befanden). Wäre Cäsar an einer Lebensmittelvergiftung gestorben, hätte das Shakespeare um eine Tragödie gebracht, Cäser jedoch wahrscheinlich nicht um seinen Nachruhm in der Historie, wie man am Beispiel seines Vorläufers Alexander III. von Makedonien sehen kann.