Donnerstag, 14. Januar 2016

»Nous n’avons jamais été modernes.«

»Vom Erzähler E. T. A. Hoffmann laufen mehrfache Linien über ein Jahrhundert hinweg zu den modernen Autoren. Zu ihnen gehört die Kultur des Nachdenkens über das Erzählen während des Erzählens, des Redens über die poetische Arbeit in deren Vollzug selbst (…) Damit entdeckt und definiert sich die berichtete Welt als eine konstruierte. Das Erzählen wird von einem Medium, das gesicherte Wirklichkeit vermittelt, zu einer Tätigkeit, in der eingestandenermaßen etwas aufgebaut und angefertigt wird. Was so bei Hoffmann begonnen hat (…), das kann im modernen Erzählen zur großen Konstitutionsregel werden. Da schimmert dann die Tätigkeit des Erzählers nicht nur da und dort in der erzählten Szenerie auf, sondern sie ist ebensosehr durchgezogener Gegenstand des Berichts wie die Geschichte / Fabel / Story selbst. Man pflegt solches ein ›Spiel‹ zu nennen, dort ein romantisches, hier ein avantgardistisches, und unterstellt damit, daß die betreffenden Autoren eines Tages schon wieder zum ›richtigen Erzählen‹ zurückkehren würden. In Wahrheit aber bewegt dieses angebliche Spiel meist der höhere ›Ernst‹ als die richtig und tüchtig erzählten Schicksalsläufe nach vertrauten Mustern. Das ›solide Erzählen‹, wie es eine zwischen Treuherzigkeit und Arroganz schwebende Kritik und eine mit den ›berechtigten Wünschen unserer Leser‹ vertraute Verlegerschaft fordern und fördern, ist in Wahrheit dem mechanistischen ›Spiel‹ näher, als es selbst je zugeben würde. Denn es operiert mit längst ausprobierten Erzählmustern und gewinnt seine Effekte allein über das ungewohnte Zusammensetzen gewohnter Teile.«
(Peter von Matt, … fertig ist das Angesicht. Zur Literaturgeschichte des menschlichen Gesichts, Frankfurt am Main 1989, S. 236f.).

Das war als es geschrieben wurde, nämlich im Jahre 1983, bereits ein alter Hut, und es ist bedenklich, daß man es gut 30 Jahre später immer noch zitieren muß.

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