Donnerstag, 3. Dezember 2015

Ästhetischer Pantheismus

So banal eine Aussage auch sein mag, so wenig bedeutsam, wie man sie sich in ihren Folgen vorstellt, so schnell, wie man sie nach ihrem Erscheinen auch vergessen kann, so wenig verstanden oder schlecht entziffert, wie man sie annimmt, ist sie doch stets ein Ereignis, das weder die Sprache noch der Sinn völlig erschöpfen können. Ein seltsames Ereignis mit Sicherheit: zunächst, weil sie einerseits mit einem Schriftzug oder mit der Artikulation eines Wortes verbunden ist, aber weil andererseits sie sich selbst gegenüber eine im Feld einer Erinnerung oder in der Materialität der Manuskripte, der Bücher und irgendeiner Form der Aufzeichnung zurückbleibende Existenz eröffnet; dann weil sie einzigartig ist wie jedes Ereignis, aber weil sie der Wiederholung, der Transformation und der Reaktivierung offensteht; schließlich weil sie nicht nur mit Situationen, die sie hervorrufen, und mit Folgen, die sie herbeiführt, sondern gleichzeitig und gemäß einer völlig anderen Modalität mit Aussagen verbunden ist, die ihr voraufgehen und die ihr folgen.
Aber wenn man im Verhältnis zur Sprache und zum Denken die Instanz des Aussageereignisses isoliert, geschieht dies nicht, um eine zahllose Menge von Fakten zu verstreuen. Es geschieht, um sicher zu sein, sie nicht auf Verfahren der Synthese zu beziehen, die rein psychologischer Natur wären (die Absicht des Autors, die Form seines Geistes, die Strenge seines Denkens, die ihn beschäftigenden Themen, das Vorhaben, das seine Existenz durchläuft und ihr Bedeutung gibt), und um andere Formen der Regelmäßigkeit, andere Typen der Beziehung erfassen zu können. Beziehungen der Aussagen untereinander (selbst wenn diese Beziehungen dem Bewußtsein des Autors entgehen; selbst wenn es sich um Aussagen handelt, die nicht den gleichen Autor haben; selbst wenn diese Autoren einander nicht kennen); Beziehungen zwischen so aufgestellten Gruppen von Aussagen (selbst wenn diese Gruppen nicht die gleichen Gebiete oder benachbarte Gebiete treffen; selbst wenn sie nicht das gleiche formale Niveau haben; selbst wenn sie nicht der Ort bestimmbaren Austausches sind); Beziehungen zwischen Aussagen oder Gruppen von Aussagen oder Ereignissen einer ganz anderen (technischen, ökonomischen, sozialen, politischen) Ordnung. Den Raum in seiner Reinheit erscheinen zu lassen, in dem sich die diskursiven Ereignisse entfalten, heißt nicht, zu versuchen, ihn in einer Isolierung wiederherzustellen, die nichts zu überwinden vermöchte; heißt nicht, ihn in sich selbst zu verschließen; es heißt, sich frei zu machen, um in ihm, und außerhalb seiner, Spiele von Beziehungen zu beschreiben.

(Michel Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 4. Aufl. 1990, S. 44f.).

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