Wenn ich eine Fernsehproduktion aus den siebziger Jahren, die auch in dieser Zeit spielt, sehe, dann habe ich das Gefühl, daß da die Welt wohl noch in Ordnung gewesen sein mußte, obwohl ich aus eigener Erfahrung weiß, daß sie da auch nicht mehr oder weniger in Ordnung oder in Unordnung gewesen war als jetzt. Es geht auch nicht um meine Gemüths- oder Lebensumstände, nein, daß ich von diesen Fernsehfilmen so affiziert bin, das liegt vielleicht daran, daß das, was derzeit öffentlich geschieht, diese Mischung aus wohlfeilem Zynismus, Dummheit und Unverschämtheit, damals noch nicht so geschmacklos war, beziehungsweise: daß man sich noch genötigt sah zu versuchen, diese Mischung aus wohlfeilem Zynismus, Dummheit und Unverschämtheit zu camouflieren (vielleicht kann man sagen: man hatte damals noch ein natürliches Verhältnis zu dem Künstlichen, wohingegen man heute das Künstliche natürlich erscheinen lassen will), oder daran, daß etwas noch nicht so perfekt war oder sein mußte, oder auch daran, daß noch der letzte Hauch einer Aufbruchsstimmung (1968) nachwehte (wie wenig fundiert die auch immer gewesen sein mag). Es liegt vielleicht auch einfach daran, daß ich damals noch jung war (siehe Kafkas Kleine Fabel).
Die reiche Witwe Evelyn tötete ihren Schwiegervater und den Einbrecher, mit dem sie sich nur eingelassen hatte, um den Einbruch zu inszenieren, in dessen Kontext dann der Mord geschehen sollte.
Der Ablauf der Tat war von Anfang an klar, die Frau kam vor Gericht und ihr Anwalt Dr. Alexander – eine Karikatur von Rolf Bossi – paukte sie heraus und machte den ermittelnden Kommissar Haferkamp dabei lächerlich. Der Anwalt war der beste Freund des ermordeten Schwiegervaters und drohte seiner Mandantin Konsequenzen für den Fall an, sollte sich herausstellen, daß sie es doch getan hatte.
Die Stieftochter der reichen Frau hatte den Mord beobachtet, sie kam mit der Tat nicht klar und brachte sich um (wie setzte man die Tragik ins Bild, die der Selbstmord eines jungen Mädchens bedeutete? – nun: man zeigte, als ihr Körper nackt in der Pathologie lag, ihre schönen Brüste).
Die titelgebende Abrechnung des Anwalts, der aus dem Abschiedsbrief des Mädchens den Tathergang erfahren hatte, sah nun so aus, daß er den Selbstmord als Mord arrangierte, den er dann seiner Mandantin anlastete.
Das Ganze war keine Meisterleistung der Regieführung, der Anwalt hätte nicht so dick auftragen dürfen, alles war zu offensichtlich, aber: obwohl ich diese Episode mindestens schon zweimal gesehen hatte, langweilte ich mich an keiner Stelle. Es machte mir einfach Freude, den Leuten zuzuschauen. Gelungen war die Schilderung des Milieus von Haferkamp, die Behörden (die Beamten schämten sich noch nicht, welche zu sein und sahen auch noch so aus) und die Kneipen (damals noch Paradiese für Raucher und Trinker, man lernte etwas über den Unterschied von Frikadellen, deutschem Beefsteak und faschierten Laberln – Haferkamp in einer anderen Folge: »Ein Steak braten, das kann wirklich jeder. Aber für eine Frikadelle braucht man Erfahrung! Eine Frikadelle darf außen nicht verkrustet sein und nicht zu hell. Schlechte Frikadellen sind matschig oder knochenhart, wenn man sie anfaßt. Die meisten sind auch viel zu groß, sind weich und lappig wie ein Pfannkuchen! Sie müssen klein sein und fast rund, ein bißchen abgeflacht, außen kroß und innen gerade durch.«), da kannte sich Wolfgang Becker – oder, wahrscheinlicher: Hansjörg Felmy – wohl aus, wohingegen die Schilderung der reichen Witwe und ihres Umfelds und die der beiden Gerichtsszenen holzschnittartig gerieten.
Das Wort ›Intelligenz‹ fiel auffallend oft und manchmal in kuriosen Zusammenhängen. Haferkamp hatte die Möglichkeit, über die Moral des Polizisten zu philosophieren und der Schauspieler, der den Anwalt spielte, konnte zeigen, was er auf der Theaterbühne gelernt hatte, denn da kam das her, was er und Maria Schell trieben (etwa wenn sie ein Buch aus dem Regal nahm und darin blätterte … man sah die Regieanweisung direkt vor sich: ›Evelyn (nimmt ein Buch aus dem Regal und blättert darin) …‹). Drastisch war die Großaufnahme der schweißnassen Mundpartie des Anwalts, während er sein Plädoyer hielt und als er sich am Ende – auch in einer Großaufnahme, diesmal seines ganzen Gesichts – nach seiner Entlarvung zwei Finger auf den Mund legte.
(aus:
¡Hans Koberlin vive!, Kapitel XI [Erstes Intermezzo – oder: Zäsur], 31. Januar bis 9. Februar 2014).
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