Dienstag, 28. Juni 2016

Fenster #28

Samstag, der 28. Juni 2014


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Und Hans Köberlin mußte einmal wieder an seine Lieblingshelden in der Geschichte denken, an die Lotophagen …*


* Viel, viel später, am Montag, dem 20. Juni 2016, in der S-Bahn auf dem Weg zur Fron, sollte er bei den Gebrüdern Strugatzki (Die Last des Bösen oder Vierzig Jahre später; in: Werkausgabe, hrsg. von Sascha Mamczak und Erik Simon, München 2. Aufl. 2011, Bd. 3, S. 393ff.) ähnliche Gestalten kennenlernen, nämlich die ›Nichtesser‹. Die hatten natürlich nichts mit der ganzen spirituellen Kacke (mit den sogenannten ›Lichtessern‹ et cetera) oder den Anorektikern – die physische Fraktion der spirituellen Kacke – zu tun, der Begriff stammte vielmehr aus der Erzählung Im Weltraum des sowjetischen Science-Fiction-Autors Илья Иосифович Варшавский. Der Protagonist der Strugatzkis, Igor W. Mytarin, stellte vier Klassen von ›Nichtessern‹ auf, von denen uns aber bloß die erste, als ›Elite‹ bezeichnete, interessierte. Dazu zählte Igor W. Mytarin die hausbackenen Philosophen, die gescheiterten Künstler, die Graphomanen aller Schattierungen, die nicht anerkannten Erfinder et cetera. Dies seien die Invaliden der schöpferischen Arbeit, bei denen der hartnäckige Drang zum schöpferischen Tun zwar vorhanden, schöpferisches Talent hingegen nicht, und daran seien sie zerbrochen. Georgi Anatoljewitsch (der, über dessen Schicksal Igor W. Mytarin berichtet) habe solche Menschen als Resonatoren und eine große Ausnahme, ein seltsames Aufbäumen in der Entwicklung der Zivilisation, bezeichnet (da fallen einem doch gleich die großen Verweigerer Onan und Hanno Buddenbrook ein). Da die Zivilisation ein Phänomen wie die Poesie hervorgebracht, müsse es auch Individuen geben, die zu nichts anderem taugten, als dazu, diese Poesie zu konsumieren. Sie seien nicht fähig, materielle oder geistige Werte zu schaffen, sondern nur, sie zu konsumieren und mit ihnen zu resonieren. Ihre Resonanz allerdings erweise sich als außerordentlich wichtig für einen schöpferischen Menschen, sie sei ein wichtiges Element der Rückkoppelung für den, der Geistiges hervorbringe. Und es sei seltsam, daß Tee-, Wein-, Kaffee- oder Käseverkoster geachtete Leute seien, wohingegen ein Degustator von Malerei als fauler Schmarotzer gelte … aber eigentlich sei es gar nicht so seltsam … Abgesehen davon, daß wir bei der Differenz Schöpfen / Verarbeiten – als elaborierte Art des Konsumierens – wie Brecht argumentieren würden …

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel XXI [Phase 9 – oder: Die letzte Phase], 10. Juni bis 11. Juli 2014).