Sonntag, 26. Juni 2016

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Wochenendeende

Donnerstag, der 26. Juni 2014


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Und er las bei Benjamin folgende Anekdote: »Ein großer pariser Nervenarzt wurde eines Tages von einem Patienten aufgesucht, der zum ersten Male bei ihm erschien. Der Patient klagte über die Krankheit der Zeit, Unlust zu leben, tiefe Verstimmungen, Langeweile. ›Ihnen fehlt nichts, sagte nach eingehender Untersuchung der Arzt. Sie müßten nur ausspannen, etwas für ihre Zerstreuung tun. Gehen Sie einen Abend zu Deburau [ein damals, in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts, berühmter Komiker; H. K.] und Sie werden das Leben gleich anders ansehen.‹ ›Ach lieber Herr, antwortete der Patient, ich bin Deburau.‹«


* Walter Benjamin, Das Passagen-Werk; in: Gesammelte Schriften, unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt am Main 1982, Bd. 5, S. 165. Nebenbei bemerkt: diese Anekdote besagte auch einiges über den Umgang mit der Realität bei den Nervenärzten.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel XXI [Phase 9 – oder: Die letzte Phase], 10. Juni bis 11. Juli 2014).