Dienstag, 9. Februar 2016

Sonntag, der 9. Februar 2014


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Als er angekommen, machte er gleich eine Flasche Wein auf und ging mit dem Glas in der Hand durch beide Wohnungen des Hauses, zog Rolläden hoch, öffnete zum Lüften Türen und Fenster und öffnete wieder die Gas- und Wasserhähne, packte dann seine kleine Ledertasche aus: die Badutensilien ins Bad, die schmutzige Wäsche in den Raum mit der Waschmaschine, die Bücher und die Cassiber-Box auf den Schreibtisch (striptease table …) und den Zitatenkalender hängte er an den Nagel, von dem er zuvor den Filmkalender mit dem Tagesblatt vom 31. Dezember 2013 – man erinnere sich: Gudrun Landgrebe in Robert van Ackerens Die flambierte Frau (1983) – abgenommen hatte, dann ging er auf beide Dachterrassen und prostete der Umgebung, den Nachbarhäusern, dem komischen Vogel, der prompt seinen seltsamen Pfiff pfiff, dem Peñón de Ifach, dem Meerhorizont zwischen den Hochhäusern, Morro de Toix & Castellet de Calp und schließlich der Sierra de Oltà zu. Dies war sein drittes Ankommen, kam es ihm in den Sinn … jetzt bereits ein Ankommen ins Vertraute, ein Heimkommen …; eine Ankunft würde wohl noch folgen (nach dem Besuch der Frau anläßlich deren Geburtstag), und dann … und dann sollte alles auch schon wieder vorbei sein … Hans Köberlin konnte sich das nicht vorstellen, obwohl er seine Rückkehr nun nicht mehr so völlig perspektivlos imaginierte. Als er dann später aus dem Haus ging, hatte er bereits mehr als eine halbe Flasche Wein intus. Jene Verse Borgesʼ in memoriam A. R. (= Alfonso Reyes) fielen ihm ein …
Supo bien aquel arte que ninguno
Supo del todo, ni Simbad ni Ulises,
Que es pasar de un país a otros países
Y estar íntegramente en cada uno.
Nein, zu seinem Bedauern mußte sich Hans Köberlin eingestehen, daß auch er nicht, wie auch nach Borges Sindbad nicht und auch Odysseus nicht, es geschafft hatte, ganz bei der Frau gewesen zu sein und es jetzt nicht schaffte, ganz hier zu sein. Das Optimum in der Hinsicht wurde erreicht, wenn er hier war und die Frau hier war, das war artgerechte oder gar artfördernde Haltung, die Alternative dazu wäre ewiges Reisen, Benjamins Leben im Hotel und das Leben als Roman. Er kam allerdings, so sagte er sich (sicher nicht zu unrecht), dem Ganzhiersein sehr nah, so nah wie noch nie einem solitären Ganzirgendwosein zuvor in seinem Leben.*


* Später, viel, viel später, am Mittwoch, dem 27. Mai 2015, sollte der Busenfreund ihn fragen, ob denn das Sein im Mediterranen mit den vier bis fünf Begegnungen im Jahr mit der Frau nicht sein idealer Modus sein könne.
»Nein, das – das sage ich jetzt natürlich a posteriori – funktionierte bloß über die begrenzte Dauer. Unterminiert müßte ich … würde ich wohl …«
»Sag es!«
»Ich müßte etwas anfangen, was ich eigentlich nicht will, weil ich die Frau liebe … etwas anfangen zum Vögeln …«
»Ok, das wollte ich hören, du bist noch gesund.«

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel XI [Erstes Intermezzo – oder: Zäsur], 31. Januar bis 9. Februar 2014).