Sonntag, 24. Januar 2016

Freitag, der 24. Januar 2014


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… und begann danach erfrischt nach dem gestrigen Abschluß von Bretons Anthologie de l’humour noir mit der Lektüre von Peter Handkes Der große Fall, um den verschiedenen Stimmen noch eine solche, über die Jahre der Nichtlektüre ungewohnt gewordene, hinzuzufügen. Auch dieser Band war eher zufällig über ihn und in seine Basisbibliothek gekommen: Diotima hatte ihn, weil ihr die Erzählung nicht gefallen, aus ihren Büchern aussortiert, und Hans Köberlin, der eh einen Band dieses von ihm in einer wichtigen Phase seines Lebens geschätzten und verschlungenen Autors mitnehmen wollte (auch als Kontrollgruppe ›Stil‹), hatte sich angesichts ihrer momentan ausschließlichen Lektüre (esoterische Konstrukte, esoterische Ratgeber und esoterisches Weltverbesserungsgeschwätz)* gedacht, daß dieses Nichtgefallen vielleicht eher für Handke sprechen würde und den Band aus der Ausmusterungskiste gerettet. Handke erzählte von einem Schauspieler,** der sich nach der Liebesnacht mit einer Frau zufuß aufmachte, vom Haus der Frau in der Peripherie einer Metropole in das Herz der Metropole zu gehen.*** Dabei hatte er eine Reihe seltsamer Begegnungen, die ihm Anlaß zum Reflektieren und Räsonieren gaben. Am Ende der Erzählung dann, der Mann war der Frau, mit der er verabredet, bereits ansichtig, kam die Zielverweigerung: »Statt dessen der Große Fall.« Das, »der große Fall«, war aber, wie mehrfach, wahrscheinlich um zu irritieren, in Aussicht gestellt worden war – Handke hatte zu viele Anspielungen auf ein mögliches Ende, daß nur er kannte, gemacht –, kein Selbstmord gewesen.


* Leute, die in ihrem Leben spirituell seien, so konnte man unter dem Datum des 24. August 1867 im Journal der Goncourts lesen, Leute, die im Gespräch nicht dumm seien (was sie, nebenbei bemerkt als Bauernfänger auch nicht sein durften), ließen die heimliche und verborgene Dummheit ihres eigentlichen Wesens, ihren innersten Kern, den Schwachsinn, den sie versteckten, in ihre Bücher einfließen (vgl. Edmond & Jules de Goncourt, Journal. Erinnerungen aus dem literarischen Leben, Leipzig 2013, Bd. 4, S. 491).
** Hans Köberlin glaubte wegen des Duktus des Erzählens die Stimme Bruno Ganzʼ zu hören und das Agieren Bruno Ganzʼ zu sehen, obwohl Bruno Ganz – anders als Handkes Schauspieler in Peter Steins sportiver Guinnessbuchinszenierung den Faust gespielt hatte. In dem Büchermenschen im Wald glaubte Hans Köberlin wegen der Narbe auf der Stirn Rainald Goetz zu erkennen (es konnte aber auch Diderot gewesen sein, der ja auch eine blasse Narbe auf der Stirn gehabt hatte), ganz sicher war mit dem Schauspielerkollegen, der sich vom Meer hatte fortspülen lassen, der großartige Ulrich Wildgruber gemeint, den Hans Köberlin zwar in Zadeks Lulu auf der Bühne und in diversen Rollen im Fernsehen gesehen, den er aber vor allem als Stimme kannte, und eines seiner liebsten Hörspiele war das 1993 vom hessischen Rundfunk produzierte 57 Minuten lange Hörspiel Das Büro der schwarzen Stunde von Wilfried F. Schoeller, nach Texten von Fernando Pessoa.
*** Clemens Limbularius hatte einmal – gleichfalls an einem heißen Sommertag – in der Hauptstadt ein Projekt in die entgegengesetzte Richtung, also vom Zentrum in die Peripherie, unternommen, vgl. vom Verf. Telos oder Beiträge zu einer Mythologie des Clemens Limbularius, Berlin 2013, S. 362 und S. 366f.

(aus: ¡Hans Koberlin vive!, Kapitel X [Phase IV – oder: modus vivendi], 7. bis 30. Januar 2014).